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I^oman von örnuse^vetter

(3. Fortsetzung)


/"*°^^er nächste Tag war wider Erwarten trübe und wolken-
^schwer. Gleich nach dem Frühstück setzte der Regen ein,
i^^^oer lange gedroht hatte. Die Arbeit mutzte unterbrochen,
alles umgeordnet und die Leute mutzten neu eingestellt werden.
Kitty lietz den Inspektor zu sich rufen. Das Mädchen kehrte
zurück: der Inspektor wäre nirgends zu finden. Seine Stube
wäre leer, und auf dem Hofe hätte ihn auch noch niemand gesehen.
„Er hat seine Drohung wahr gemacht," sagte sie sich, verlor
aber nicht einen Augenblick ihre Ruhe, meldete durch den Fern-
sprecher dem Amtsvorsteher den Vorfall und ersuchte ihn, das
Erforderliche zu veranlassen.
Dann befahl sie den Käm¬
merer zu sich, um das Nötige
wegen der neu aufzunehmen¬
den Arbeiten mit ihm zu be-
sprechen.
Nun ließen sich wieder aller¬
lei Leute bei ihr melden.
Zuerst erschien der zweite
Schweizer, der nach der Kün¬
digung des Oberschweizers
seine Stunde für gekommen
hielt und um Lohnerhöhung
bat. Sie wußte, daß auch ihn
ein Teil der Schuld an dem
gestrigen schweren Schaden
traf.
„Ich habe nicht die geringste
Veranlassung, Ihren Lohn zu
erhöhen," wies sie ihn zurück.
Der Mann drehte die Mütze
in den schwieligen Händen
einige Male hin und her und
sandt e einen v erd ross enen Blick
zu ihr hinüber.
„Dann —"
Sie lietz ihn nicht zu Ende
reden.
„Ihr Schein liegtbereits da.
SiekönnenzumErstengehen."
Er machte ein verdutztes
Gesicht, wollte nichts gesagt
haben und auch bei dem alten
Lohne bleiben. Sie übernahm
nichts mehr zurück, und er
mutzte mit seinem Entlas¬
sungsschein abtreten. -— Sie
schellte, damit der nächste der
Leute, die auf der Diele war¬
teten, um die gleiche oder ähn¬
liche Forderungen zu stellen,
eintreten sollte.
Das Mädchen erschien. „Die
Leute sind gegangen. Sie
haben sich die Sache anders
überlegt."
„Sie glauben, mit mir ma¬
chenzukönnen, was sie wollen.
Doch sie werden sich irren."

Obwohl sie ihren Willen so energisch durchgesetzt und den Er-
folg für sich hatte, blieb Kittys Stimmung bedrückt und trübe
wie das Wetter draußen, das in einen langsam einsetzenden Land-
regen übergegangen war.
Der Kachelofen war trotz des Sommers geheizt, aber die
Feuchtigkeit war bei solcher Witterung aus dem hohen Zimmer
nicht herauszubekommen.
Sie zog eine wollene Jacke über ihr leichtes Sommerkleid und
versank in Sinnen. Was der Großvater wohl zu dem Verlust der
schönen Kühe sagen würde? Es waren seine Lieblingskühe ge-
wesen, und sie empfand es als
ein Glück, daß er nichts vor
seiner Abfahrt erfahren hatte.
Es hätte ihm die ganze Reise
verdorben, ihn vielleicht noch
von ihr zurückgehalten. Ob er
wohl einverstanden gewesen
wäre mit dem, was sie dar-
aufhin veranlaßt, mit den ein-
schneid end en V eränd erung en,
die sie bereits am ersten Tage
herbeigeführt hatte?
Wenn sie offen mit sich zu
Rate ging, fand sie den Mut
nicht, diese Frage zu bejahen.
Er war ein vorsichtig wägen-
d er Mann, d er seine Leute nur
entließ, wenn sich keine Mög-
lichkeit mehr bot, sie zu halten.
Aber sie war über alles das
zu empört gewesen und mutzte
sich durchsetzen um j ed en Preis!
Da horchte sie auf. Klang
es nicht wie leicht trabender
Hufschlag, was da von dem
gepflasterten Hofe drüben an
ihr Ohr drang? Unmittelbar
vor dem Stalle verstummte er.
Ein praller, schneller Schritt
bewegte sich durch den Vor-
garten, kam die Treppe herauf.
Will Tornow stand vor ihr.
Von seiner braunen Leder-
joppe rieselten die Regentrop-
fen wie kleine Bächlein hin-
unter, seine riesigen Reiter-
stiefelwaren bis an die straffen
Beinkleider beschmutzt, sein
gebräuntes Gesicht aber, in
dem sich eine gewisseharmlose
Gutmütigkeit mit einer fast
bissigen Spottlust ganz eigen-
tümlich mischte, blühte in
Frische und Gesundheit.
„Ich bitte um gnädige Ver-
zeihung, wenn ich in so wenig
gesellsch aftsfähig emAnzug die
Gemächer der Königin Nichte
betrete. Aber ich wollte mich

Frühlings Erwachen / Nach einem farbigen Holzschnitt von Hans Vogel
 
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