Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZO4 Für unsere Frauen

. ... es^ 2 I


n die Wissenschaft der Küche spielt nicht unbedeutend die Kulturge-
schichte hinein. Besonders in der französischen Terminologie muß man
ost weit zurückgreifen, um den Ursprung zu entdecken. Der Laie wird an-
nehmen, die französischen Benennungen seien Phantasienamen. Weitaus
die meisten aber sind geschichtlich begründet. Damit lernt man verstehen,
daß Kochkünstler und Gastronomen an ihnen und damit an der französischen
Sprache gern festhalten, umso mehr, als Frankreich das Mutterland der feinen
Küche ist. Man kann es nur als einen lobenswerten Ausdruck der Pietät
bezeichnen, daß man in der Benennung eines Gerichtes den Ursprung, sei
es den ersten Hersteller, Anreger oder Herkunftsort, zu erhalten sucht, ähn-
lich wie ja auch die Botaniker es lieben, in den lateinischen Pflanzennamen
den Entdecker oder Fundort hineinzuflechten.
Auf den Speisekarten der feineren Restaurants stoßen wir unter an-
derem auf das „Chateaubriand", das ist, genau betrachtet, ein Doppel-
rindslendenstück, behandelt wie ein „Beefsteak", so daß der Saft und die
Kraft in dem rasch verkrusteten Fleisch vollständig erhalten bleiben. Hier
haben wir gleich eine historische Benennung. Dem geistreichen französischen
Schriftsteller, Minister, Pair und Mitglied der Akademie Vicomte de
Chateaubriand (gest. 1848) erschien eine kräftige und gleichzeitig zarte und
pikante Kost in einem rasch verkrusteten Fleischstück idealisiert.
Um die Fachausdrücke der feineren französischen Küche zu verstehen,
sind allerdings Sprachkenntnisse nötig, die über die üblichen weit hinaus-
gehen. Beim Eindringen in die Terminologie bietet bereits die deutsche
Speisekarte mancherlei Interessantes. Wer kennt nicht den Kasseler Rippen-
speer und wer meint nicht, erseieineSpezialitätderkurhessischenHauptstadt!
In Wirklichkeit war es ein Berliner Schlächtermeister gleich en Namens, der
durch seine besondere Behandlung des Fleisches der Nachwelt seinen Namen
erhielt, ähnlich wie sein großer, Ende des vierzehnten Jahrhunderts ver-
storbener Vorgänger, Willem Pökel, der das „Pökeln" rationell einführte.
In England ist der Earl of Sandwich zum Paten für ein belegtes
Butterbrot geworden. Der Graf lebte Ende des achtzehnten Jahrhunderts
und war ein leidenschaftlicher Skatspieler, der sich kaum zum Essen Zeit
gönnte. Ab und zu ließ er sich vom Kellner ein Stück Schinken zwischen
zwei viereckigen entrindeten Weißbrotschnitten bringen, die ihn bei der
Nachwelt zur klassischen Berühmtheit stempelten.
Eine interessante Namensgeschichte hat auch die einfachste und bekannteste
Speise, die Kartoffel. Als ein aus Piemont vertriebener Kaufmann dem
Pfarrer der Waldenser zu Schöneberg 1701 zweihundert Kartoffeln mit-
brachte, glaubte man, es seien Trüffeln, und nannte die völlig neuen
Knollen Tartoffelchen, nach dem italienischen tartukolo; dazu sei bemerkt,
daß man die ersten Kartoffeln am französischen Hofe als Gericht noch
höher schätzte und umständlicher aß als die Trüffeln. Man sieht, was die
Seltenheit macht, und wird an die ersten Reisgerichte mit Zimt erinnert,
zu denen man Fürsten einlud. Die Bezeichnung tartukolo (Verkleinerung
von turtuko — Erdknolle) war vielleicht eine zufällige und beliebige jenes
Piemontesers, denn in Italien nannte man die Kartoffel xotats, woraus
das englische xotatoo wurde, während man im deutschen Norden wegen
der besseren Aussprache bald den ersten Buchstaben t in lr umlautete.
Frankreich hielt an der ursprünglichen Benennung, dem Erdapfel, fest
— P0NNN6 clo torro.
In Frankreich haben sich von jeher Kavaliere, Minister, Diplomaten,
überhaupt viele Männer von Ruhm mit der Kochkunst befaßt. Jene
Männer verkannten nicht das hochinteressante Gebiet der Küche und den
wichtigen Umstand, daß deren Schöpfungen nicht allein großes Wohlbe-
hagen schaffen, sondern zugleich auf Stimmung und Gemüt zu wirken ver-
mögen. Alexander Dumas der Vater, der kurz vor seinem Tode noch damit
umging, eine Patentsoßenfabrik zu gründen, war oft halbtagelang, die
weiße Schürze vorgebunden, am Kochherd tätig.
Nach dem einstigen einfachen amerikanischen Kaufmann, späteren


Lehrer und zuletzt bayrischeu Kriegsminister Reichsgraf von Rumford,
dessen Lebensentwicklung so seltsam anmutet und dessen eifrigen Be-
strebungen und Erfolgen die zielbewußte Speisebereitung viel zu danken
hat, nennt man eine besonders kräftige Suppe „Rumford-Suppe". Als
Gegenstück ist anzuführen, daß ein bekannter französischer Gelehrter, der
die Kartoffel und ihre Verwendung in Deutschland studierte, die Suppe
daraus in der französischen Königsfamilie hoffähig machte. Aus Dank-
barkeit führt diese noch heute seinen Namen „LotaZs L la Laruioukior".
In dem „ä la", das eigentlich „ä, la rnanioro cko" — nach Art von — Ort,
Land oder einer Person heißen sollte, liegt nicht nur die historische Er-
innerung, sondern zugleich das Geheimnis der oft köstlichen Eigenart des
Gerichtes und besonders auch seiner Beilagen beziehungsweise Zutaten.
Eine Rindslende „ä la Opponlioirn", des deutschen Schriftstellers und
Parlamentariers (gest. 1880) ist anstatt mit Speck mit Hühnerfleisch,
gekochtem Schinken und Trüffeln gespickt, während eine solche Lende
„a la (^äoUno) Latti" als Beilagen Reis, Schoten und in Würfel geschnit-
tene Trüffel aufweisen muß.
Mit der Zeit findet man natürlich Regeln heraus, besonders wenn man
die „a la" nach Ländern und Städten verfolgt. So ist „ä l'Italionno"
stets in Verbindung mit Reis, Makkaroni und so weiter zu denken, „ä la
Lrstionno" mit Beilage von Bohnen, „ä la 8oubi86" (nach einem be-
kannten Adelsgeschlecht) mit einer dicklichen weißen Zwiebelsoße und
„ä la Lorigorä", ,,ä la LoriZuoux", oder ,,ä la Dalle^ranck" stets mit
Trüffeln. Talleyrand, als einer der berühmtesten Feinschmecker und Menü-
kompositeure, erhielt zur Würdigung dieser Eigenschaften ausdrücklich den
Titel eines Herzogs von Pärigord, des bekannten Trüffelparadieses. Der
kurfürstlich-sächsische Hofküchenmeister Samuel Egidy wurde 1667 in den
rittermäßigen Reichsadelstand erhoben. Ein Koch von Ruf war auch Leon-
hard de Breuil, der Küchenmeister am Hofe des Herzogs Reinhold von
Österreich, Vizekönigs von Italien, in Mailand war. Escoffier, der weltbe-
kannte Meisterkoch Frankreichs, der den Ehrennamen „der Diplomat der
Küche" führt, als Küchenchef den höchsten Herrschaften in Deutschland,
England und Amerika gekocht und den Kaiser Wilhelm II. den „König
der Küche und Koch der Könige" genannt hatte, wurde sogar Ritter der
Ehrenlegion. Bei dieser Gelegenheit wurde ihm ein goldenes Buch über-
reicht, in das alle Leute von Namen, für die er gekocht hat, ihre besondere
Anerkennung und Bewunderung eingetragen hatten.
Wenn man dem Ursprung der einzelnen Gerichte nachforscht, stößt man
nicht selten auf Schwierigkeiten bei der Benennung. Lange Zeit war der
Name der Julienne-Suppe unerklärlich. Wenn „ä la klnanoiöro", „L la
royale", „s, la ckuoli688s", „ä la käuiruo", „ä, la printanioro" geschrieben
steht, versteht man, daß es sich bei den ersten drei um besonders reiche und
vornehme Gerichte, beim vorletzten um „gut bürgerliche" und beim letzten
um ein Gericht mit Frühlingsgemüsen handelt. Brillat Savarin, der Ver-
fasser eines umfangreichen Küchenlerikons, meint, daß ein französischer
Speisewirt, Julien, der nach Neuyork ausgewandert ist und dort ein
Restaurant von Ruf begründete, diesen hauptsächlich seinen kräftigen
heimatlichen Gemüsesuppen verdankt habe. Später verlangte man überall
Suppe nach Art des Julien, und mit der Zeit wurde Julienne daraus.
Daß damit sein Name, wenn auch korrumpiert, noch jahrhundertelang
fortleben würde, hat er gewiß ebensowenig geträumt wie Bochamel,
Marquis de Nointel, der auf die Verwendung von Milch und Sahne bei
der Gemüsebereitung kam und dessen „Vechamelkartoffel" und Soßen
noch heute die Speisekarte zieren. Er soll auch der Erfinder des „vol au
vont" sein, jener mächtigen Blätterteigpastete mit dem feinen Einge-
machten. Wer die einmal gegessen hat, wird noch heute den Hut abnehmen
vor jenem Herrn, ebenso wie die Damen Fürst Pückler wegen seines
Rahmgefrorenen und die berühmte Melba wegen ihres Pfirsichs noch
lange in Ehren halten.




/?7 7/4

Nachdruck aus dem Inhalt die,er Zeitschrift unter,agt / Übersetzungsrecht Vorbehalten / Anschrift für Einsendungen: Schriftleitung des Buchs für Alle, Stuttgart, Cottastr. iz, ohne Beifügung eines
Namens / Herausgegeben unter verantwortlicher Schristleitung von Gottlob Mayer in Stuttgart / Verantwortlich für den Anzeigenteil: Georg Springer in Berlin / JnÖsterreich für
Herausgabe und Schriftleitung verantwortlich: Robert Mohr in Wien I, Domgasse 4 / Für die Tschechoslowakei Herausgeber und verantwortlicher Redakteur Karl Kunschke, Privoz,
Dr. Benesgasse y / Druck und Verlag der Union Deutsche Verlagsgefellfchaft in Stuttgart
 
Annotationen