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6oo Für unsere Frauen Hest 25

Eine Menschenfreundin und Volkserzählerin
Zu Ottilie Wildermuths fünfzigfiem Todestag / Von Hermann Raillard

er Name Ottilie Wildermuth weckt in vielen Herzen liebe Erinne-
rungen an Bücher, die tiefe Eindrücke auf das Gemüt gemacht haben.
Wer kennt nicht die Erzählungen „Aus Schloß und Hütte" oder „Von
Berg und Tal", wer besinnt sich nicht noch auf das „Heulpeterle" oder
„Den klugen Hund Bruno"? Auch heut' hören oder lesen die Meinen mit
dem gleichen Erstaunen und Vergnügen etwa von den „Drei Schwestern
im Walde" oder dem „Peterli im Emmental". Aber auch die
köstlichen „Bilder und Geschichten aus Schwaben" und
andere für die Familien und für die Frauenwelt ge¬
schriebenen Erzählungen der in den weitesten Mei-
sen beliebten Verfasserin sind keineswegs so ver¬
altet, wie manches überhebliche Vorurteil meint.
So viel uns auch von der Epoche trennt, deren
geruhiges, kleinbürgerliches Leben sie uns auf
Grund eigener Erfahrungen und kluger guter
Beobachtungen schildert, als Kulturbilder
behalten diese naturgetreuen Skizzierungen
ihren Wert und lenken aus den Aufregun¬
gen und Kompliziertheiten unserer hasti¬
gen, viel zu sehr an äußere Effekte ver¬
sklavten Zeit den Blick auf einfache, aber
tiefe Wahrheiten und auf schlichte Werte,
die nicht vom Tageskurs bestimmt sind.
Den Ehrgeiz literarischer Vollendung hat
die grundehrliche, der Grenzen ihrer Be¬
gabung wohlbewußte Frau nie gehabt.
Nicht so sehr ein künstlerischer Gestaltung^
drang als das herzliche Bedürfnis, ande¬
ren aufmunternde Freude zu machen, mit
den eigenen Erfahrungen und selbsterrun-
gener Einsicht zu helfen, hat sie auf Zureden
ihres Mannes und mehr und mehr ermutigt
durch dankbare Zuschriften aus den damaligem^
Leserkreisen dazu bestimmt, ihr schon als Kind
gezeigtes Talent zu nützen. Und wie ihr als Mäd¬
chen gelegentlich vom überraschten Brüderlein nach¬
gesagt wurde: „'s Ottile hat e verlogenes Märle ver¬
zählt," wenn sie einmal von früherer Darstellung abwich,
so hat sie später Wahrheit und Dichtung keck verschmolzen.
Wie bescheiden sie selbst über ihre Leistungen dachte, hat sie
unter anderem in einem Brief an eine Freundin treffend
ausgedrückt: „Der einfache Grundgedanke aller meiner Ver-
suche ist der Wunsch, zu zeigen, wie reich und mannigfaltig
auch das alleralltäglichste Leben in seinen verschiedenen Erscheinungen
ist, wie viel erfreuliche, ergötzliche und poetische Seiten jede Zeit und jeder
Lebenskreis bieten, wie Quellen zu harmlosem Lebensgenuß in jeder Stel-
lung liegen." Und daß ihr das in reichem Maße gelang, haben mit wärm-
sten Anerkennungen Autoritäten wie Stifter und Uhland, Schelling, Heyse
und Bodenstedt bezeugt. Der bekannte Literarhistoriker Vilmar traf das
Richtige, als er ihr einmal schrieb: „Ihnen ist die wunderbare Gabe ver-
liehen, nicht etwa die Wirklichkeit zu vergolden — das können andere
auch —, sondern das Gold der Wirklichkeit an den Tag zu legen; und
wieder ist dies nicht bloß irdisches Gold, sondern das Gold, das an den

Schwellen des Paradieses gefunden wird." Am wichtigsten war ihr aber
der Dank vieler, die ihr bestätigten, von ihr aufgerichtet, zu tüchtiger,
wackerer Lebensbemeisterung ermutigt zu sein. Es ist die grundgütige,
reine und schlichte Persönlichkeit, es ist die inmitten von oft recht drücken-
den Einschränkungen und Sorgen frohmütige Frau und glückliche Mutter,
die auch heut' noch unser Herz gewinnt mit ihren von Humor und feiner,
nie verletzender Ironie belebten Erzählungen von sonderbaren
Käuzen und Originalen, von guten und tiefschmerzlichen
Geschicken und Irrungen, zumal von Pfarrhäusern mit
recht unterschiedlichen, zum Teil sonderlichen Heiligen.
Von Heimatkunst in der Literatur hat erst eine viel
spätere Zeit viel Rühmens gemacht. Ottilie Wil-
dermuths Geschichten tragen unbeabsichtigt,
aber deutlich den Charakter ihrer Heimat in
der Weinbergumgebung der Schillerstadt
Marbach und später der einzigartigen Uni-
versitätsstadt am Neckar, dem schönen Tü-
bingen, und unverkennbar die Züge
schwäbischer Eigenart, die weniger auf
glatte Form als auf gesunden Kern Wert
legt. Mit einem, zuweilen hartköpfigen
freiheitlichen Individualismus vereint
dieser Volksstamm eine willige Ehrfurcht
vor ererbtem moralischen Gut, Familie
und Überlieferung, Recht, Sitte und
Glauben der Väter. Genau diese An-
hänglichkeit an die Heimat, an die ver-
trauten Gespielen und gute und böse
Nachbarn, hilfsbereite Liebe zu den Armen
und Unterdrückten, von scheinheiliger Über-
schwänglichkeit weitentfernte, in nüchterner
herzhafter Innerlichkeit wurzelnde tapfere
Frömmigkeit sprechen aus all ihren Worten
und all ihrem Wesen. Von Emanzipiertheit,
süßlicher Sentimentalität wollte diese Frau, die
das „Kochet" und „Nähet" so zu würdigen wußte,
das Wirtschaften so tüchtig verstand, nichts wissen.
Gesunder Realismus, Gemütswärme und die poetische
Ader, die im Heimatland so vieler Dichter nichts Unge-
wöhnliches ist, vereinigten sich in dieser Freude und Ver-
trauen um sich verbreitenden, liebenswerten deutschen Frau.
Gerade in unserer Zeit, die so viele schwer enttäuscht und
mit niederdrückenden Schwierigkeiten belastet hat, können
sich selbst die, die in Unrast und Unrecht den Glauben an Selbstbehaup-
tung, seelische Überwindungskräfte, an gute Menschen und göttliche Hilfe
verloren haben, an den Lebensbildern und Vorbildern Ottilie Wildermuths
aufrichten.
Vor vierzig Jahren wurde der 1817 geborenen und 1877 gestorbenen
Jugend- und Volksschriftstellerin am neckarumrauschten Wöhrd in Tübingen
ein Denkmal gesetzt. Und in ihren Erzählungen lebt sie noch immer Gutes
wirkend fort und kann, was gleißnerischer Glanz und aufgeputzte, leicht
unzufriedenmachende Filmherrlichkeil nicht vermögen, wieder zu Festig-
keit und Frohsinn, zu Mut und schlichtem Gottvertrauen verhelfen.



Ottilie Wildermuth
geboren am 22. Februar 18U
gestorben am 12. Juli 1877

Ottilie Wildermuths Ausgewählte Werke
in vier Bänden
Illustriert von Fritz Bergen
Bilder und Geschichten aus Schwaben - Aus dem Frauenleben
Liebeszauber und andere Erzählungen
Zwei Namensschwestern und andere Erzählungen
Diese vier Bände in Ganzleinen gebunden,
in schöner Schutzhülse Rin. 12 einzeln jeder Band Rm. 3.—
Ottilie Wildermuths Iugendfchriften
Klein-Oktav-Ausgabe
Aus Nord und Süd «Kindergruß « Von Berg und Tal . Für
Freistunden - Jugendgabe « Aus Schloß und Hütte . Die alte
Freundin «Zeder Band mit 6 Einschaltbild., in Ganzleinen geb. Nm. 1.80
Ottilie Wildermuths ausgewählte Jugenderzählungen
Die besten Kinvergeschtchten Ottilie Wildermuths, ausgewahlt von ihrer
Tochter Adelheid Wildermuth. 17.-21. Ausl. Mit 13 mehrfarbigen Ein-
schaltbildern. Gebunden Nm. 4.—
UNION / LU U^KLN IN LH.LN LUOttU^NODUNOLN

Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt / Überseyungsrecht Vorbehalten / Anschrift für Einsendungen: Schriftleitung des Buchs für Alle, Stuttgart, Cottastr. iz, ohne Beifügung eines
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