Kampfhähne / Nach einer Zeichnung von Hans Kraus
Kunstverlag AmSler ck Ruthardt, Berlin W 8
(^"Xie leitende Schwester ist nicht wenig erstaunt, als sie ihren
Chef zu so später Stunde mit einer Dame vorfahren sieht.
Er gibt ohne jedes weitere Wort Auftrag, den kleinen Ope-
rationssaal fertigzumachen und zugleich das beste, nach dem
Garten hinausgelegene Zimmer, das erst heute nachmittag frei
geworden, für die Patientin bereitzustellen.
„Den Operationssaal?" fragt die Schauspielerin, die seine An-
ordungen gehört hat, und ein leises Entsetzen ist in ihrer Stimme.
„Sie brauchen keine Furcht zu haben. Wir machen auch die
kleinsten Eingriffe dort, weil wir da alles bei der Hand haben."
„Man wird mich betäuben?"
„Nein, Sie werden mit offenen Augen und klaren Sinnen dem
Schrecklichen zuschauen. Sehen Sie, da sind wir schon — wollen
Sie sich freundlichst dort hinlegen."
Und er weist auf den Operationstisch.
„Da soll ich mich hinlegen? Das sieht ja aus wie eine Bahre."
„Ich glaube, Sie haben oft genug auf einer Bahre gelegen, die
weniger freundlich war als diese."
„Jawohl. Als Julia und in manchen anderen Rollen. Aber auf
dem Theater ist es etwas ganz anderes."
„Wir machen es gerade so schön und schmerzlos wie auf dem
Theater. Übrigens die Julia muß Ihnen liegen."
„Und ob! Wenn Sie Ihre Sache gut machen, spiele ich Sie
Ihnen einmal zur Belohnung."
Er zieht sich den weißen Mantel an. Und schon ist er bei der
Arbeit, revidiert
sorgfältig die Wun-
de, entfernt mit
der Pinzette einige
kleine Elassplitter,
faßt dann mit einer
Klammer das durch-
trennte Blutgefäß,
unterbindet es mit
Darmfaden. Das
alles ist so schnell
und sicher gesche-
hen, daß sie es sich
kaum versieht und
ganz erstaunt ist, als
er ihr sagt, daß alles
fertig sei.
„Sokannichnach
Hause fahren."
„Nein, Sie wer-
den hier bleiben."
„Hier bleiben?
Wie lange?"
„Das kann ich
heute noch nicht
sagen."
Sie zieht die
Mundwinkel her-
unter. „Dann bitte
ich, meine Zofe
kommen zu lassen,
damit sie mich ent-
kleidet."
„Das wird die Schwester besorgen," verfügt er dagegen.
Sie wagt keinen Widerspruch mehr.
Ein entgeisterter Blick der dunklen Augen, die jetzt ganz groß
geworden sind.
„Wenn Sie darauf bestehen, daß ich in Ihre Klinik komme, so
will ich mich fügen," sagt sie langsam, zögernd. „Aber erst, wenn
ich meine Rolle zu Ende gespielt habe."
„Sie werden Ihre Rolle nicht zu Ende spielen. Sie werden
sofort mit mir in meine Klinik fahren."
„Wie reden Sie mit mir? Ich denke nicht daran!"
Sie wirft den Kopf mit der sorgsam zurechtgemachten Haar-
tracht auftrutzend in den Nacken.
Der Inspizient klopft an: „Darf ich bitten, gnädige Frau? Es
ist alles fertig. Sie haben gleich den ersten Auftritt."
„Zwei Minuten noch. Ich werde mich beeilen."
„Die gnädige Frau wird heute abend nicht mehr auftreten,"
und Lawell öffnet die Tür, daß der eckige Kopf zurückzuckt, sich
an der Kante hart stößt.
„Ich wüßte nicht, wer Sie zu meinem Vormund gemacht hat."
Ein heißer Un¬
wille ist in ihren
Worten, glüht zu
ihm hinüber.
„Ihr Vormund
bin ich nicht. Aber
Ihr Arzt, der die
Verantwortung zu
tragen hat."
Der Direktor er¬
scheint: „Die gnä¬
dige Frau soll nicht
mehr auftreten?
Soll ihre Partie
nicht zu Ende füh¬
ren? Ja, Herr Dok¬
tor, Sie müssen
doch einsehen, daß
das unmöglich ist.
Was soll das Pu¬
blikum —?"
Lawell unter¬
bricht ihn: „Die
Herrschaften schei¬
nen zu glauben, ich
bin hierhergekom¬
men, mich an der
Komödie zu betei¬
ligen, die man hier
aufführt. Das ist
weder meine Auf¬
gabe, noch meine
Absicht."
Und indem er jeden weiteren Einwand abschneidet, wendet er
sich an die Zofe: „Wollen Sie, bitte, den Theaterdiener veran-
lassen, nachzufragen, ob mein Wagen, der mich abholen sollte,
bereits da ist. Wenn nicht, so soll in meine Klinik telephoniert
werden, daß er unverzüglich kommen soll. Sie, gnädige Frau,
aber muß ich bitten, wenn ich Ihre Hand retten soll, sich sogleich
fertigzumachen."
Sie sieht ihn mit großen erstaunten Augen an. Dann senkt sie
den Blick, läßt ihn über die verbundene Hand streifen.
„Ich bin bereit," sagt sie.
(^^ie späte Augustsonne schickte ihre Morgenstrahlen in das im
^^freundlichen Weiß gehaltene und mit allem Wohlbehagen
ausgestattete Krankenzimmer, in dem Felicitas Tönnies nach lan-
gem, manchmal etwas unruhigem Schlummer erwachte. So waren
ihre Augen und Sinne noch vom Schlafe gehalten, daß sie sich
in der fremden Umgebung nicht zurechtzufinden vermochte.
Wie war sie hierhergekommen? Wo war sie überhaupt?
Ganz allmählich kam ihr alles zum Bewußtsein: ihr Unfall bei
der gestrigen Vorstellung, die Verhandlungen in ihrem Ankleide-
raum, ihre Fahrt in die Klinik und der fremde Arzt.
„Welch ein wunderlicher Mensch!" dachte sie bei sich. „Diese
Bestimmtheit, mit der er auftrat. Als hätte er zu befehlen und
ich zu gehorchen! Ich habe doch wirklich genug Männer gekannt
und beherrscht. Ich werde auch ihn kirre kriegen, so groß und ge-
bietend er auch auftritt. Aber seine Sache versteht er, das muß
man ihm lassen ... Doch warum kommt er nicht? Kein Mensch