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Die Kameradschaft vom Berge
Eine erlebnisreiche Besteigung des Piz Roseg / Von Walther Flaig

(^n der Nacht, in der wir auszogen, dachte gewiß niemand von uns, daß
(^^er so verdammt finster und böse hinter uns stand: der Lawinenteufel.
Im Gegenteil. Wir waren stark und lebensfroh wie selten. Zwei prächtige
junge Männer waren in meiner Gefolgschaft und Obhut. In den strahlen-
den Eisfällen, auf den durchsichtig blinkenden Eisgraten der Bernina
wollten sie ihre Bergsteigerei vervollkommnen und die höchste Schule des
Eissportes durchlaufen.
Am Vortage, als wir den Plan faßten und ich ihnen den edlen Piz
Roseg — „den schönsten aller Berninaberge" — vorschlug, da leuchteten
ihre Augen, und ich spürte, wie ihre Herzen schlugen vor Erwartung dieser
ihrer ersten großen Eisfahrt, und wie sie froh waren, daß ich ihnen dies
zutraute. So wuchsen wir schon vor der Fahrt ineinander als Geführten:
Vertrauen und Glaube war alles.
Um zwei Uhr in der Nacht erhob ich mich. Das Himmelsgewölbe über dem
Gletscherkessel von Tschierva war mit Sternen über und über besät. Da
beschlossen wir aufzusteigen, obwohl die Nacht lau war und die Gestirne
unruhig funkelten, als gäbe es heute keine Ruhe in den weltfernen Höhen.
Trunken und müde, wie das immer ist bei diesen Nachtmärschen, stolperten
wir im Laternenschein dahin. Und doch ist ein eigener Zauber über dieser
Stunde. Noch ist der Geist im Banne der Nacht und des halbausgeruhten
Körpers, ist träge, fast widerwillig. Es fällt kein Wort, selten ein Stern.
Plötzlich donnert ein Bach über den Pfad, von dem man längst nicht mehr
weiß, ob man ihn wirklich begeht oder nur sich einbildet. Der Laternen-
schein, der in der Pechfinsternis hilflos ertrinkt, zaubert da und dort Weg-
spuren vor — eine nächtliche Fata morgana schlimmster Art, mit be-
glückenden Hoffnungen und quälenden Zweifeln. Die Moräne, diese vom
Gletscher Zusammengescharrte und zusammengetragene Mauer aus Geröll,
Sandgeriesel, Staub, Schlamm und Vlockwerk, dieser Inbegriff des Halt-
losen, Tückischen wird zum Nachtspuk. Ihre steilen Halden brechen plötzlich

unter dem Fußgänger, der sie eilig huschend schon überlistet glaubt, mit
Gedröhne zusammen, Blöcke poltern und Staubwolken wirbeln. In wilden
Sätzen entflieht der Betrogene, die Laterne fliegt und flackert, oftmals nah
am Erlöschen. Alles ist in der Nacht doppelt gefahrvoll, unheimlicher,
lauter und schreckhafter.
Dann sind wir am Gletscher, dessen an dieser Stelle blankes schneefreies
Eis seltsam knirscht unter den Schuhen, als ginge man auf Glasscherben
und Splittern.
Es tagt mit kaum merklichem Dämmern. Aber wer mit dem Instinkt des
Tieres so durch die Nacht schlich, der spürt jedes Regen der Zeit. Wir legen
das Seil an und huschen über das Eis. Das Bachtönen bleibt zurück und
die Stille wird offenbar, die Stille der Stunde vor Tag, da nichts sich regt
als das Licht.
Vor uns, hoch droben schon, sehen wir das zauberhafte Bild der durch die
Finsterheit kriechenden Laternen anderer Bergsteiger. Zwei Trupps mit je
zwei bis drei Laternen steigen dort droben dem Piz Bernina zu. Die
Laternenfünklein schweben wie Leuchtkäferlein in den Wänden droben.
Wir löschen jetzt und klimmen schneller im Dämmerlicht. Am Saß Umur
zeige ich den Gefährten den alten Biwakplatz, ein eingeebnetes Schutt-
plätzlein unter einem Felsen, der es kaum schützt. Noch liegt viel Schnee
hier. Da schliefen unsere Vorläufer in den kalten Felsen recht und schlecht.
Und heute klagen die Weichlinge, wenn sie in guter Hütte auf Stroh liegen
sollen! Haben die „Fortschritte" den Menschen nichts gebracht als ein
Schwächerwerden im Willen?
Uber eine Weile und die große Stunde vor Tag zeigte ihre ganze Größe:
Noch war alles im Einton der Dämmerzeit gemalt. Dunkelblaugrau das
jetzt unergründlich hohe Luftgewölbe. Dunkel, fast schwarz die Felsen und
schwach leuchtend der Schnee, der Firn, das Eis. In mächtigen Linien steigt
die furchtbare Rosegwand auf, dieses Ungeheuer, an dem noch das Grausen
 
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