Heft 26
Das Buch für Alle
klebte vom Tode jenes jungen, tollkühnen, unbegreiflich
leichtsinnigen Italieners, der ihr vor wenigen Tagen erst
sein junges heißes Leben geopfert hatte, weil er ihr allein
trotzen zu können glaubte.
Diese riesige Eiswand schoß auf vor uns zu dem geheim-
nisvollen Himmelsraum. Ihre zwei höchsten schneeigen
Kuppen waren bleich angeschimmert von dem Ahnen des
Tages. Wie Geisterhöhen standen sie droben, unermeßbar
hoch wie es schien im fahlen Licht. Ein einziger Stern fun-
kelte verloren im Raum dicht über den Spitzen wie ein Dia-
mant über einer hohen reinen Stirne. Und gleich wie der
edle Stein die Stirne adelt, so hob der Stern die schneeigen
Gipfel Zu sich auf in gewaltige Höhen.
Die eisige Frische des Morgens auf dem Gletscher, das
wunderreiche Naturgeschehen — das alles erfrischt auch
unsere Sinne und die dunkelschwere Trägheit der Nacht
fällt ab von uns. Beglückt und begeistert von unserm hohen
Ziele schreiten wir über den Firn, der jetzt hier das Eis deckt.
Spalten öffnen sich zur Rechten und bald auch vor uns.
Das Seil spannt sich. Die Nerven sind straff und die Mus-
keln. Mit katzenleisen Sohlen schleichen wir über die un-
heimliche Kluft. Als ob wir nachts auf dem Giebel eines
Kirchendaches schritten und dieses plötzlich sich berstend in
die dunkle Tiefe des weitgewölbten Schiffes sich öffnete, so
ist diese Kluft, deren Wände ins Dunkel zurücktreten und uns
keinen Zweifel lassen, daß wir auf dem dünnen Gewölbe
eines Eisdomes schreiten, ein unheimliches Gefühl, so gut
auch die Decke gefroren scheint, so sicher die Freunde das
Seil auch straffen. Wenn man durchbräche, schwebte man
über einer unschätzbaren Tiefe, frei — wie der Klöppel in
der Glocke.
Auch zur Rechten sind gewaltige Spalten, in die wir
wundrig hineinschauen und uns die Tore, Gewölbe, Zapfen
nnd Mächten weisen — ein Märchenreich.
Weiter! Zur Linken schießen die schwarzroten Platten
des Piz Umur empor, fast senkrecht. Hoch droben auf ihrem
Grat, rings umgeben vom ewigen seit Jahrtausenden ein-
geschmolzenen Eise, dort fanden wir gestern einen kleinen
Zaubergarten von Alpenblumen, eine Wunderwelt der
Am Fuß des Piz Roseg.Jm Eisbruch des Tschiervagletschers
An der Eiswand empor / Aus dem Ufafilm „Der heilige Berg"
Farben in Fels- und Einöde, unsagbar schön. Wir werden sie nie vergessen, diese Vor-
kämpfer des grünen Lebens, allen voran den Himmelsherold, dessen vergißmeinnicht-
blaue Sterne sich in blauen Massen auf den kugeligen grünen Polstern drängten, wirkliche
„Herolde des Himmels".
Jetzt überqueren wir den Firnkessel. Zur Linken ist eine Riesenspalte im Gletscher, wie
ein Tal. An ihrem Rande schreiten wir dahin und sehen hinab, so als ob einer hoch
oben entlang den Dachrändern einer tiefen breiten Straße schreitet. Alles hat gewaltige
Maße hier. Um uns her im Dreiviertelkreis steigen die Eismauern auf — 0 so hoch!
Da geht ein Schimmern über den Schnee. Wir schauen auf und stehen still: die zwei
Das Buch für Alle
klebte vom Tode jenes jungen, tollkühnen, unbegreiflich
leichtsinnigen Italieners, der ihr vor wenigen Tagen erst
sein junges heißes Leben geopfert hatte, weil er ihr allein
trotzen zu können glaubte.
Diese riesige Eiswand schoß auf vor uns zu dem geheim-
nisvollen Himmelsraum. Ihre zwei höchsten schneeigen
Kuppen waren bleich angeschimmert von dem Ahnen des
Tages. Wie Geisterhöhen standen sie droben, unermeßbar
hoch wie es schien im fahlen Licht. Ein einziger Stern fun-
kelte verloren im Raum dicht über den Spitzen wie ein Dia-
mant über einer hohen reinen Stirne. Und gleich wie der
edle Stein die Stirne adelt, so hob der Stern die schneeigen
Gipfel Zu sich auf in gewaltige Höhen.
Die eisige Frische des Morgens auf dem Gletscher, das
wunderreiche Naturgeschehen — das alles erfrischt auch
unsere Sinne und die dunkelschwere Trägheit der Nacht
fällt ab von uns. Beglückt und begeistert von unserm hohen
Ziele schreiten wir über den Firn, der jetzt hier das Eis deckt.
Spalten öffnen sich zur Rechten und bald auch vor uns.
Das Seil spannt sich. Die Nerven sind straff und die Mus-
keln. Mit katzenleisen Sohlen schleichen wir über die un-
heimliche Kluft. Als ob wir nachts auf dem Giebel eines
Kirchendaches schritten und dieses plötzlich sich berstend in
die dunkle Tiefe des weitgewölbten Schiffes sich öffnete, so
ist diese Kluft, deren Wände ins Dunkel zurücktreten und uns
keinen Zweifel lassen, daß wir auf dem dünnen Gewölbe
eines Eisdomes schreiten, ein unheimliches Gefühl, so gut
auch die Decke gefroren scheint, so sicher die Freunde das
Seil auch straffen. Wenn man durchbräche, schwebte man
über einer unschätzbaren Tiefe, frei — wie der Klöppel in
der Glocke.
Auch zur Rechten sind gewaltige Spalten, in die wir
wundrig hineinschauen und uns die Tore, Gewölbe, Zapfen
nnd Mächten weisen — ein Märchenreich.
Weiter! Zur Linken schießen die schwarzroten Platten
des Piz Umur empor, fast senkrecht. Hoch droben auf ihrem
Grat, rings umgeben vom ewigen seit Jahrtausenden ein-
geschmolzenen Eise, dort fanden wir gestern einen kleinen
Zaubergarten von Alpenblumen, eine Wunderwelt der
Am Fuß des Piz Roseg.Jm Eisbruch des Tschiervagletschers
An der Eiswand empor / Aus dem Ufafilm „Der heilige Berg"
Farben in Fels- und Einöde, unsagbar schön. Wir werden sie nie vergessen, diese Vor-
kämpfer des grünen Lebens, allen voran den Himmelsherold, dessen vergißmeinnicht-
blaue Sterne sich in blauen Massen auf den kugeligen grünen Polstern drängten, wirkliche
„Herolde des Himmels".
Jetzt überqueren wir den Firnkessel. Zur Linken ist eine Riesenspalte im Gletscher, wie
ein Tal. An ihrem Rande schreiten wir dahin und sehen hinab, so als ob einer hoch
oben entlang den Dachrändern einer tiefen breiten Straße schreitet. Alles hat gewaltige
Maße hier. Um uns her im Dreiviertelkreis steigen die Eismauern auf — 0 so hoch!
Da geht ein Schimmern über den Schnee. Wir schauen auf und stehen still: die zwei