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62 I

Kleinstadtfrieden / Nach einer Lithographie von Karl Holtz Vavamnenag, Münchm-Gauum,



Langsam schreitet Marie-Agnes dem Hause zu; sie trägt einen Beutel
^^mit den Einkäufen für die Mahlzeit und zieht an der freien Hand den
müde gewordenen kleinen Jungen hinterher, während Ehrengard müh-
sam eine riesige Tüte vor sich herschleppt, aus der hin und wieder eine
graue Kartoffel rutscht und lustig vor ihr herkollert.
Auch heute wieder keine Nachricht von Albrecht. Da läuft er sich nun
in den Städten die Füße müde, um Geld zu verdienen; so voll Vertrauen
und Hoffnung beginnt er jedesmal seine Arbeit und kehrt müde und ab-
gehetzt zurück. Darf sie, seine Frau, den Enttäuschten dann auch noch mit
Fragen quälen? —- —-
Zu Haus liegt Albrechts Brief: Er denke in diesen Tagen zurückzu-
kehren. Doch leider sei die große Sache, von der er soviel gehofft habe,
nicht ganz so günstig ausgegangen, wie er erwartet. Es sei eben nicht so
leicht heutzutage; dennoch müsse man den Kopf oben behalten.
„Den Kopf oben behalten," das sagt er immer, wenn er in Wahrheit
schon matt am Boden liegt. „Den Kopf oben behalten!" Er hat es damals
gesagt, als der Arzt ihm klarmachte, daß sein Herz keine weitere Be-
lastungsprobe aushalte, daß er den Dienst quittieren müsse.
Dächte doch einmal sein Bruder, der reich und sorgenlos auf einem
schönen Schloß wohnt, an ihn und die Kinder! — — —
Nachricht von Albrecht: Er sei krank geworden und müsse die Abreise
verschieben. Sie solle nur ruhig sein, er komme dieser Tage. Nein, nein!
Sie kennt ihn doch: Er hat sich natürlich übernommen, wie sollte es anders
sein, wenn er treppauf, treppab läuft, um seine Ware anzubieten. Dann
ißt er nicht zu Mittag, bröckelt den ganzen Tag an einem bißchen Brot


herum und schleppt sich mit seinem Warenkasten. Immer voll Hoffnung
-ein großes Kind.
Unruhig sucht sie nach den Aktenstücken, die Albrecht verlangt hat. Was
für ein Durcheinander in seinem Schreibtisch. Uneröffnete Briefe von der
Bank! Wie? Nichts mehr da? Das Konto überzogen und längst der Termin
verstrichen, den die Bank gesetzt hatte.-
Da, ein kühler Brief seines Bruders, daß er bedaure, das gewünschte
Darlehen nicht geben zu können, und hochfahrende Reden dazu, wie die
Familie mit Befremden erfahren habe, daß er jetzt als Weinreisender sich
betätige.-—
Haß steigt in ihrem Herzen auf.-
Albrecht liegt matt in einer kleinen, häßlichen Stube. Gott sei Dank, daß
sie gekommen sei. Er sei doch elender daran, als man zuerst gesehen habe.
Die Geschäfte? — Ach, reden wir doch nicht davon. Nun du da bist, ist doch
alles gut. —-
Kaum, daß es ihm besser geht, und sie neben seinem Bett ein wenig ein-
schlief, weckt der bösartige Ton der Klingel sie auf. Das ist nichts Gutes.
Nein, ein Beamter steht draußen, der-als sie sich ausgewiesen hat — —
mit höflicher Miene, aber ganz von Eis, ein Papier in ihre Hand legt.
Sie versteht nicht, und zuvorkommend wird ihr erklärt, daß es sich hier um
einen Wechsel handle, den der Herr Gemahl unterschrieben habe, und der
nunmehr fällig sei, ja, und dann wohl zu Protest gehen müsse. —-
Protest?-Nun ja, das wäre so der technische Ausdruck. Wäre der
Herr Gemahl nicht persönlich zu sprechen?
„Nein, unmöglich," erwidert Marie-Agnes schnell. „Er ist krank."
 
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