für Alle ....>!!!>»!!!!.. Heft 26
Der Beamte hebt die Augen und sieht ihr ins Gesicht: „Das einzige wäre
vielleicht," sagt er langsam mit einer weichen Stimme, „wenn die gnädige
Frau den Herrn Justizrat Rosenbaum aufsuchte, es mag sein, daß er
prolongieren könnte." — Marie-Agnes dankt bestürzt.
* -1- *
Da Albrecht immer noch ruhig schläft, legt sie ihm einen Zettel hin, aus
dem hervorgeht, daß sie ein paar Besorgungen vorhabe, und macht sich
auf den Weg.
Warten in dem öden, aktenverstopften Vorzimmer. Immer unruhiger
wird sie, wenn sie ihr Vorhaben überdenkt. Was eigentlich will sie? Dies
ist doch offenbar der Vertreter des Gläubigers. Von ihm verlangt sie
Aufschub und Geduld?-Marie-Agnes wird hereingerufen.
Vom Schreibtisch, an dem, tief auf das Papier gebeugt, der alte Herr
sah, erhebt er sich und blickt, sie be¬
grüßend, ihr ruhig ins Gesicht.
„Ich komme — wegen des Wech¬
sels komme ich," stößt Marie-Agnes,
der alle vorher festgelegten Wendun¬
gen entfallen sind, unruhig hervor.
Der Justizrat bittet sie, Platz zu
nehmen, und steht, bis dies gesche¬
hen, geduldig neben seinem Sessel.
„Ich bedaure, Sie in Unruhe ver¬
setzt zu haben, gnädige Frau," sagt
er. „Indessen-"
„Nein, nein. Ich wollte nur bit¬
ten, der Beamte meinte-"
„Wann glauben Sie denn, daß
Ihr Herr Gemahl würde zahlen
können?"
Erschrocken starrt Marie-Agnes
dem Frager ins Gesicht. „Zahlen?
Ich glaube nicht, daß er das zahlen
kann," erwidert sie.
„Nun, Sie sehen wohl zu schwarz.
Zwei große Güter, nicht wahr?"
„Nein, nein," gibt Marie-Agnes
schnell zurück. „Das ist sein Bruder,
der hat die beiden Güter geerbt."
„So, hm. Ja, würde denn Ihr
Herr Schwager nicht vielleicht ein¬
springen, oder andere Verwandte?"
Eine verwirrte Jagd der Gedan¬
ken durch Marie-Agnes' müdes Ge¬
hirn. Verwandte? Die Großtante in
Scherwitz vielleicht. Aber durfte man
ihr, die selbst mit Sorgen kämpfte,
so etwas zumuten? Verwandte? Ach
— sie hätten nicht einmal Albrecht
seine Waren abgekauft! Sie hatten
kühl oder freundlich, je nachdem,
erwidert, daß sie leider sich soeben
anderweit versorgt hätten. —
„Es scheint, Sie haben kein Zu¬
trauen zu Ihrem Herrn Schwager.
Soll ich vielleicht? Einem Fremden
gelingt oft, was Nahestehenden —"
„Nein, vielen Dank," antwortet Marie-Agnes erschrocken.
„Ja, gnädige Frau, ginge es nach mir, so wäre Ihr Wunsch erfüllt, da
Sie ihn aussprachen. Aber mein Klient darf erwarten, daß ich voll sein
Interesse wahre. Er ist Kaufmann. Er muß sein Geld hereinholen, will er
nicht andere schädigen, die wiederum Forderungen an ihn haben."
Langsam öffnet der Justizrat ein Aktenstück.
„Hier sind die Kopien," sagt er. „Der Herr, der die Sache vermittelt
hat, schreibt hier, es handle sich um einen Kredit für den bekannten Erb-
mundschenk Freiherrn Benno und so weiter, Fideikommisherrn und so
weiter, zweitausend Hektar. Da liegt dann also eine Verwechslung vor?"
„Ja, ja, ein — Mißverständnis," erwidert bestürzt Marie-Agnes.
Der Justizrat beginnt vorzulesen: „Nachdem der Freiherr seine Unter-
schrift gegeben und den Gegenwert von mir in Empfang genommen
hatte, betonte Herr Salzmann — das ist eben der Vermittler des Dar-
lehens — nochmals ausdrücklich, daß die Verpflichtung selbstverständlich
prompt zur Einlösung kommen werde, wofür ja das wertvolle, Zweitausend
Hektar große Grundvermögen des Freiherrn einstehe. Dieser hörte zu und
widersprach mit keinem Wort — und so weiter."
Starr blickt Marie-Agnes auf den Lesenden, der nun, da er geendet hat,
langsam den Kopf hebt und ihren Blick erwidert.-—
Ach — das ist zuviel auf einmal. Trotz aller Gegenwehr drängen sich die
Tränen in ihre Augen.
„Er hat gewiß nichts Unrechtes tun wollen," stößt sie unter Schluchzen
hervor. „Nur das nicht auch noch, daß sein Bruder dürfte mit Fingern auf
ihn deuten."
Hinter dem Schreibtisch erhebt sich langsam die kleine, schmale Figur und
schreitet auf die verzweifelte Frau zu. Marie-Agnes sieht die blasse, blau-
geäderte Hand des alten Mannes die ihre umschließen, fühlt auf einmal
ein lange nicht mehr gekanntes Gefühl wieder, das man vielleicht als Kind
hatte, wenn — am Rande der Verzweiflung — die Mutter sich endlich
unser annahm — und birgt ohne nachzudenken das in kindlichem Zutrauen
weinende Gesicht in der freundlichen Fläche dieser Hand.
Sie weiß nicht, was weiter ge-
schieht. Nicht lange darauf steht sie
wieder auf der Straße, mitten im
Gewühl, und fühlt zwischen Daumen
und Zeigefinger festgeklemmt ein
Papier, faltet es auseinander und
liest: Es ist eine Empfangsbescheini-
gung über die geschuldete Summe,
unterschrieben und datiert!
* *
Sie ist nicht einmal umgekehrt,
um zu danken. Den Trubel der
Straße kaum beachtend, lief sie —
lief sinnlos zu Fuß zurück zu dem
Haus, wo Albrecht lag, und hielt wie
ein beglücktes Kind dem Staunen-
den die Unterschrift vor die Augen.
Kaum daß er begriffen hatte,
warf er — endlich befreit — die
ganze fürchterliche Verzweiflung auf
ihr Herz: Jener Salzmann habe ihm
Beteiligung andem Vertrieb vonTe-
lephonapparaten angeboten; wenn
er nur Kaution stelle, die völlig sicher
sei, könne er bald gut verdienen. Zu
diesem Zweck habe man das Geld
ausgenommen. Aber während er,
Albrecht, krank gewesen sei, habe
der betrügerischeMensch das gesamte
Lager an Dritte übereignet; nun
sei die Kaution verloren.-—
Ja doch, ja, er habe wohl gehört,
daß jener hinterher Bennos Namen
genannt und von den wertvollen
Gütern gesprochen habe; sie — die
einzige auf der Welt, die ihn liebe,
solle um Gottes willen doch glauben,
daß er nicht habe betrügen wollen.
Marie-Agnes versichert tausend-
mal, daß sie ihm glaube, und end-
lich gelingt es, ihn zu beruhigen,
-l- -l-
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Als nach sechs Wochen der Krankheit ihr Mann sich soweit erholt hat,
daß die Rückreise unternommen werden kann, sucht Marie-Agnes den
Justizrat auf, um ihm zu danken. Sie schämt sich vor ihm; wirklich, wie ein
törichtes Kind, das, ohne an Dank zu denken, die Arme beladen mit Weih-
nachtsgaben, davonstürmt, war sie fortgelaufen. Das Herz erfüllt von
Dank über diese unerwartete, ach so unverdiente Himmelsgüte, steigt
Marie-Agnes die vielen steilen Treppen empor, Rosen in der Hand.
Erst nach mehrfachem Klingeln wird ihr geöffnet. Der Bucklige ist es. —
Wer? Der Herr Justizrat? Ob die Dame denn nicht wisse, daß er ver-
storben sei.-—
Wie?-tot?-
„Nun ja doch, ja, wir müssen alle einmal daran glauben."
Ob nicht Verwandte da wären, seine Frau vielleicht.
Der Herr sei ohne Familie gewesen, erwidert der Bucklige ungeduldig,
übrigens amtiere jetzt ein junger Anwalt hier, der sich kürzlich nieder-
gelassen habe. —-
Marie-Agnes geht, ihre Blumen in der Hand, die Treppe hinunter
und weint.-—
Abschied / Nach einer künstlerischen Aufnahme von Richard Wörsching