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Ihnen erzählen? Daß ich schlecht und recht aufwuchs und niemand
sich um mich kümmerte? Daß ich mit fünfzehn Jahren einen
braven jüngeren Mann kennenlernte, der einen kleinen Laden
aufgemacht hatte, und den ich später heiratete? Aber seine Bieder-
keit erdrückte mich. Nach drei Monaten lief ich ihm davon und
ging zur Bühne."
Von weiteren Liebesabenteuern sprach sie nie. Er wußte nicht,
ob sie sie ihm mit Absicht verschwieg, oder ob sie in ihrem Leben
keine Rolle gespielt hatten.
Auch ihm erlaubte sie nicht die leiseste Annäherung. Aber ge-
rade das erhöhte den Reiz ihrer Persönlichkeit und die nicht mehr
zum Schweigen zu bringende Sehnsucht, sie zu besitzen.
Natürlich bildeten seine regelmäßigen Besuche bei der schönen
Schauspielerin, die sich bis in
denspätenAbend ausdehnten,
das Gerede der ganzenKlinik,
des Personals wie der Pa¬
tienten.
Was kümmerte ihn das Ur¬
teil der Leute und ihr Ge¬
klatsch? Er hatte für beides nur
Verachtung. Hatte er sich schon
immer über die anderen er¬
hoben, so tat er es jetzt erst
recht.
Einmal hatte er wohl eine
Regung des Gewissens ge¬
spürt. Das war in der Stunde
gewesen, als er das wartende
Auto nicht mehr vor seiner Tür
gefunden. Eigentliche Reue
aber kannte ein Mann wie er
nicht. Im Bedenken und Be¬
dauern konnte er nicht ver¬
harren. Im Weiterschreiten
allein fand er Erlösung, sofern
er ihrer bedurfte. Die Refle¬
xion war ihm nichts. Greise
und abgelebteMenschenmoch-
ten sie anstellen. Die Tat war
Mannesart und Manneskraft.
So gab er sich mit neuer¬
wachter Lust seiner vielgestal¬
tigen Arbeit hin, nicht nur der
ärztlichen, sondern jetzt in er¬
höhtem Maße der öffentlichen.
Sein Name und Wort be¬
herrschten die Stadt. Keine
Angelegenheit und Einrich¬
tung, deren verborgene oder
offenbare Fäden nicht bei
ihm zusammenliefen.
ndlich hatte für Felicitas Tönnies die Stunde der Befreiung
geschlagen. Ihre Hand war geheilt und in ihrer alten Schön-
heit wieder hergestellt. Keine Narbe war mehr in ihr zu spüren.
Lawell hatte sein Meisterstück getan.
„Kommen Sie wirklich noch ? Ich habe schon so auf Sie gewartet!"
empfing sie ihn, als er um die gewohnte Stunde bei ihr eintrat.
Sie saß in einem Korbsessel; ein dunkles Abendkleid mit weiten
Ärmeln, die die schönen, weichgerundeten Arme frei ließen, um-
schmiegte die ein wenig schlanker gewordene Gestalt. Ihre Wangen
blühten und alles an ihr war Gesundheit und frisch pulsierendes
Leben.
„Wie langweilig es ohne Sie hier ist! Es ist gar nicht zu sagen!"
Sie legte die Hände unter dem Kopf zusammen, warf diesen
tief zurück und lächelte ihm mit Augen und Lippen zu.
„Ich finde, daß Ihnen der Aufenthalt in meiner Klinik sehr
gut bekommen ist."

Und sein Blick glitt in unverhohlener Bewunderung über ihre
liebreizende Erscheinung dahin.
„Mit welcher von Ihren Patientinnen werden Sie nun morgen
abend den Tee trinken?"
„Mit keiner. Ich werde im Theater sein, wenn Sie spielen."
„Das ist recht! Jeden Abend, wenn ich auftrete. Und immer
auf demselben Platz in Ihrer Loge, wie damals, damit ich zu
Ihnen hinaufblicken und mit Ihnen in innere Fühlung treten
kann."
„Und nach dem Theater —"
„Werden Sie mich abholen. Unten am dunklen Ausgang, wo
die Primaner und Backfische auf ihre angebeteten Helden warten.
Ich werde mich sehr beeilen. Wir werden zusammen essen."
„Und dann ...?"
„Werden Sie mich nach
Hause bringen. Aber immer
nur bis an die Tür. Ich wohne
bei einer biederen alten Pfarr-
witwe, die es gleich zur Be-
dingung machte, daß niemals
ein Herr meine Wohnung be-
träte."
„Aber heute —"
„Heute? Was wollen Sie
damit sagen?"
„Sie versprachen mir den
Lohn, wenn ich Sie gesund
gemacht hätte und Sie wieder
hinaus könnten auf die Bühne
und Ihre Luise Millerin spie-
len."
„Tat ich das? Ja, ich glaube
wirklich, ich tat es —"
Ein Hauch von lockender
Schelmerei zuckte über ihren
Mund und gab ihrem Gesicht
einen durchtriebenen Aus-
druck, als wären allerlei Ko-
bolde auf ihn losgelassen.
„Man sollte etwas vorsich-
tiger sein mit seinen Verspre-
chungen — besonders so un-
gestümen Mahnern gegen-
über. Nun gut—ich löse mein
Versprechen."
Sie neigte den Kopf ihm
leicht entgegen, ein durstendes
Lächeln spielte um ihre feuch-
ten Lippen.
„So nimm deinen Lohn!"
Er schlang die Arme um
ihren Hals, küßte den schwel-
lenden Mund.
Einen Augenblick ließ sie sich ihm. Dann war der hingebende
Ausdruck auf ihrem Antlitz wie fortgewischt, das dürstende Lächeln
erstorben.
„Und nun sei so freundlich, mein lieber Doktor, und nimm
hübsch fein und artig wieder den alten Platz ein und laß uns
plaudern. Szenen wie die eben gespielte sind ja sehr hübsch, haben
aber immer nur einen kurzen Reiz für mich, und wenn der vor-
über ist —"
Er drang mit keinem Worte in sie. Er war immer in seinem
Leben ein Mann geblieben und hatte sich nie zu einer lächerlichen
Rolle hingegeben. Ihr gegenüber aber wollte er es am wenigsten.
Sie saß ihm in ihrer anmutig lässigen Haltung gegenüber, in-
dem sie das linke Bein über das rechte schlug und dem Spiel der
in den goldgelben Seidenstrümpfen sich leicht hin und her be-
wegenden Füße zusah.
„Ich bin die Blume," sagte sie, und in ihrer Stimme war die

^hr Dachstübchen / Eine Spitzwegstimmung aus unserer Lichtbildmappe,
ausgenommen von Hans Kammerer in München
 
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