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6Z2 D Ü ö B U ch
Musik, die ihn damals, als sie zum ersten Male von der Bühne
zu ihm empordrang, entzückt hatte, „und du bist der Schmetter-
ling. Aber ich öffne meinen Kelch nur für kurze Zeit und nur zu
flüchtiger Berührung. Dann schließe ich ihn wieder zu und bleibe
verschlossen. Bis wieder einmal einer kommt, den ich ihm öffne.
Denn nicht nur der Schmetterling, wie ihr es gern wollt, bedarf
der Abwechslung, sondern die Blume ebenso, will sie leuchten und
gedeihen."
Er sah sie an und lächelte still vor sich hin. Hatte er in ihr seine
Meisterin gefunden?
„Du bist ein rätselhaftes Wesen," sagte er nach einer Pause,
„ich kenne dich heute noch weniger als damals, als ich dich zum
ersten Male sah."
„Rätselhaft ist jede Frau. Hört sie auf, das zu sein, so hat sie
ihren Reiz und Wert verloren. Besonders aber die Schauspielerin.
Wie könnte sie jeden Abend auf der Bühne eine andere sein, wenn
sie es nicht im Leben wäre? Die Hauptsache aber ist, daß sie nie
zuviel gibt, will sie ihre Blüte sich erhalten. Und nun gute Nacht!
Ich habe morgen meine große Rolle zu spielen und bedarf der
Ruhe."
s war am letzten Abend vor Pfarrer Martins Abreise. Noch
einmal saßen die drei Freunde in der ernsten Amtsstube des
Bissauer Pfarrhauses, wie sie es so manches Mal getan, und
sprachen miteinander von dem, was ihnen am Herzen lag, von
der wachsenden Not der Zeit und den Möglichkeiten, ihr entgegen-
zuarbeiten.
Da draußen braute in grauen auf- und niedersteigenden Nebeln
der späte September. Eine starke Feuchtigkeit war in der Luft,
einige Tropfen fielen, rieselten langsam und schwer von den Bäu-
men. Die Blätter fielen.
Das Scheiden des jungen tatkräftigen Geistlichen riß eine Lücke
in den festgeschlossenen Kreis, die schwer auszufüllen war.
„Auf Lawell dürfen wir jedenfalls nicht mehr rechnen," sagte
Will Tornow. „Der ist in die Seile der Liebe gespannt, und alles
andere ist ihm wesenlos geworden."
Es war das erstemal seit langer Zeit, daß dieser Name bei ihren
Zusammenkünften genannt wurde. Man hatte es aus Schonung
für Fritz Landwehr vermieden, von dem man wußte, wie nahe
er ihm einmal gestanden.
„Und doch wirkt er viel und ist schöpferisch und tätig," erwiderte
Pfarrer Martin. „Aber an ihm sieht man recht, ein wie zwei-
schneidiges Schwert Geistesfähigkeit ist, wenn nicht ein inneres
Gleichgewicht Hand in Hand mit ihr geht."
„Man sieht vielleicht noch etwas anderes an ihm," nahm Will
Tornow wied erum das Wort:
„Ein wie eigen Ding es um
die überragende Stellung
des einzelnen ist. Überall
hört man den Schrei nach
der Persönlichkeit. Daß in
einer verwirrten und zer¬
splitterten Zeit ein Mann
von unbeschränkter Macht¬
befugnis etwas Gutes schaf¬
fen könnte, kann ich mir
wohl vorstellen. Aber dann
müßte er ein Mann sein, der
nichts als die Sache will, sein
eigenes Wollen und Wün¬
schen ihr unterordnen, mit
ihr lebt und stirbt. Ein Macht¬
hab er, der der für ihn zu nahe
liegenden Versuchung nicht
widerstehen kann, sich selbst
zu wollen, ist ein gefährlich
Ding.
Mit keinem Worte hatte
sich Fritz Landwehr an der

für W k l e Heft 2
Unterhaltung beteiligt. Die starken Hände ineinandergeschlungen,
saß er stumm und scheinbar teilnahmlos neben den anderen. Jetzt
hob er das Haupt. Tiefe Traurigkeit träumte in seinen treuen
Augen, und seine sonst so klare Stimme klang schwer und ver-
schleiert: „Es ist schade um ihn ... sehr schade," sagte er. „Wenn
ihr ihn gekannt hättet, wie ich ihn einmal gekannt habe!"
„Lassen Sie gut sein, Doktor," sagte Pfarrer Martin, ihm be-
schwichtigend die Hand auf die Schulter legend. „Es kann sich
noch alles wenden und anders kommen — auch mit ihm."
Aber Fritz Landwehr schüttelte nur den Kopf.
Man sprach nicht mehr viel an diesem Abend.
Am nächsten Morgen in der Frühe fuhr Pfarrer Martin von
seinem Pfarrhause fort in eine unbekannte Welt hinein.
Als er durch Berghof kam, stand oben an ihrem Fenster Kitty
Mattern und schaute dem in die nebeltrübe Ferne dahinrollenden
Wagen nach ... eine lange, lange Zeit.
ls Leo Lawell seine Vormittagssprechstunde später als sonst
beendet hatte, meldete ihm der Diener Felicitas Tönnies.
Er war fast jeden Tag mit ihr zusammen gewesen — in seine
Klinik aber war sie nie wieder gekommen. Es mußte ein beson-
derer Anlaß sein, der sie heute zu ihm trieb.
Sie saßen in dem Zimmer, in dem sie damals gewohnt hatte,
und das er nach ihrem Fortgang nicht wieder vergeben hatte.
„Ich erhalte eben einen Brief vom Intendanten Ferber aus
Frankfurt," sagte sie nach flüchtiger Begrüßung. „Er will mich
zu einer Gastspielreise durch eine Anzahl von westdeutschen
Städten gewinnen. Jeden Abend soll ich in einer anderen Stadt
die gleiche Rolle spielen, in der du mich damals zum ersten Male
sahst."
„Und du willst zusagen?"
„Es ist eine ehrenvolle Einladung, die auszuschlagen Torheit
wäre. Ich sprach mit dem Direktor. Er will mich, zumal wir unsere
Vorstellungen hier ja bald abbrechen, aus meiner Verpflichtung
entlassen. Ich würde dann morgen früh reisen."
Er wußte nicht was er hörte. „Morgen?" hatte sie gesagt? Und
dann für immer? Und er sollte sie nie wiedersehen?!
„Das ist ausgeschlossen," erwiderte er. „Du wirst sofort ab-
drahten."
Sie lachte hellauf.
„Ausgeschlossen, sagst du? Bist du der Herr meines Schicksals
und Willens? Wer hat dich dazu gemacht?"
„Meine Liebe," antwortete er.
Sie strich ihm mit der schlanken, durchgeistigten Hand über das
Haar. Da zog er sie an sich und küßte sie ... heiß und stürmisch,
wie er sie noch nie geküßt
hatte.
Und diesmal wehrte sie
ihm nicht.
„Siehst du jetzt ein, daß
es unmöglich ist?" fragte er,
nachdem sie sich aus seinen
Armen freigemacht hatte.
„Und doch wird es so sein.
Oder meinst du, ich sollte
meinen Beruf aufgeben, um
dir und meiner Liebe zu
leben?"
„Das weiß ich nicht," er-
widerte er fest und bestimmt.
„Ich weiß nur, daß ich dich
besitzen möchte, koste es, wel-
chen Preis es wolle. Das
andere kommt danach."
„Für vier Wochen— viel-
leicht!" erwiderte sielächelnd.
„Vier Wochen-" fuhr
sie leise und nachdenklich fort-
„Es müßte etwas Schönes


An der Saale grünem Strande / Nach einer künstlerischen Aufnahme von
Kurt Walter in Berlin. (Aus unserer Lichtbildmappe)
 
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