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„Ich danke dir. Vorläufig ist es noch nicht so weit."
Eine Weile ritten sie schweigend. Der Regen hatte nachgelassen.
Aber der Nebel braute dichter.
„Die Großeltern rüsten wieder zur Reise?" fragte dann Will
Tornow. „Der Alte gibt sich ja alle Mühe. Aber ich glaube, er
kann sich in die veränderte Lage nicht finden. Und dann macht
er sich wohl auch Vorwürfe —"
„Worüber sollte er sich Vorwürfe machen?"
„Nun, zum Teufel, daß er dir den ganzen Kram auf den Hals
geladen hat!"
„Er hat es gut gemeint, und daß es so schlimm kommen
würde, konnte er nicht voraussehen."
„Du hättest nicht viel verloren, wenn es bei der ursprüng-
lichen Bestimmung geblieben wäre und man mir das Gut ge-
geben hätte. Muß sich unsereiner damit placken — meinetwegen!
Wir sind zu nichts anderem mehr nutze. Aber solch ein schmuckes,
hübsches Mädel — weiß der Himmel, du dauerst mich!"
„Ich will dich nicht dauern!" Sie sagte es fast
zornig, ließ die Gerte über den Hals ihres Brau-
nen sausen, der in scharfem Trabe davon¬
flog. Aber bald hatte sie ihn wieder in
die frühere ruhige Gangart gebracht.
„Ich dachte, es sollte ein fröhlicher
Galopp werden," meinte Will Tor¬
now, der ihr stetig gefolgt war.
„Zu Ealoppsprüngen ist man
jetzt wirklich nicht aufgelegt." /
„Du bist zu nichts mehr auf¬
gelegt. Sag', was du willst!
Aber es ist ein Jammer, das
mit anzusehen. Selbst Patro-
nessa bist du nicht mehr."
„Ach, dieseunschuldige Selbst¬
herrlichkeit," erwiderte sie mit
einemwehmütigenLächeln, „die
euch damals so viel Sorge machte
und von der ich nur wünschte, ich
könnte mich noch in ihr sonnen!"
Mir hat sie nie Sorgen, sondern
nur Spaß gemacht. Wer sind übrigens
die ,euch<, von denen du eben sprachst?"
„Nun du ... und Pfarrer Martin.
Langsam und zögernd war der Name über
ihre Lippen gekommen, als hätte sie ihn lieber
nicht genannt.
„Ich hatte heute einen Brief von ihm," nahm
er das Gespräch auf, das eine Weile geruht hatte.
„Er las sich gerade auch nicht erbaulich. Ich hatte
das Gefühl: er sehnt sich nach seinem stillen
Pfarrhause und nach dem Walde, der heute freilich kein be-
gehrenswertes Gesicht zeigt. Wonach er sich sonst noch sehnt,
das schrieb er nicht. Aber daß er in seiner neuen Gemeinde mit
großen Widerständen zu kämpfen hat."
„Er wird sie überwinden," erwiderte sie kurz.
„Wenn die Alten fortgehen, bist du ganz allein. Denn auch
Hilde hast du jetzt nicht mehr."
„Alleinsein ist oft das beste."
Da lenkte er seinen Fuchs dicht an ihren Braunen heran.
„Was soll das ewige Versteckspiel, vielliebe Nichte?" fragte er,
und einen so scherzhaften Ton er anzuschlagen sich bemühte, er
konnte dem tiefen Ernst nicht wehren, der ihn überstimmte.
„Meinst du, mein besorgtes Onkelherz durchschaute dich nicht,
so undurchdringlich du dich auch mir gegenüber zu machen suchst?
Glaubst du denn nicht, daß ich so ungefähr ahne, was alles jetzt
in dir vorgeht — und daß ich dir so gern helfen möchte?"
„Ja, das weiß ich, Will," erwiderte sie, durch den warmen
Klang in seinen Worten sichtbar berührt. „Ich weiß, daß es
keiner so gut mit mir meint wie du."
„Nun, dann nimm doch die helfende Hand, die ich dir reiche."

„Es wird die Zeit kommen, Will, wo ich sie nehme."
Der Waldausläufer war erreicht, in einigen Windungen zweigte
der Weg nach Breitenbach ab.
„Wollen wir umkehren?" fragte Will Tornow.
„Ich habe noch kaum Lust, nach Hause zurückzureiten. Ich
möchte auch Hilde einmal wieder sprechen."
„Umso besser. So machen wir einen gemeinsamen Besuch bei
Landwehrs."
Fritz Landwehr hatte mit seiner jungen Frau ein kleines, un-
mittelbar vor der Stadt gelegenes Haus bezogen, das er sich
selber gebaut hatte, und Hilde war gerade von einer Fahrt über
Land, auf der sie ihren Mann begleitet hatte, zurückgekehrt.
Nun war ihre Freude, so unerwartete Gäste bei sich zu sehen,
groß. Denn auch nach ihrer Heirat hatte sich das Band zwischen
ihr und Kitty in keiner Weise gelockert, es war vielleicht noch
stärker und inniger geworden.
So belegte sie diese gleich mit Beschlag, während sich Will Tor-
now mit Fritz Landwehr auf dessen Arbeitsstube b egab.
„Es ist wie eine Fügung, daß du gerade heute
kamst," sagte Hilde, nachdem sie für Kitty,
die von dem langen Ritt durch das neb-
lichte Wetter ein wenig erklammt war,
starken Kaffee gemacht hatte. „Ich
wäre sonst wohl morgen zu dir
hinausgegangen."
„Hoffentlich, um mir etwas Gu-
tes zu bringen. Trauriges hört
man heute ja genug.
„Ja, etwas Gutes —
Sie brauchte nichts weiter zu
sagen, Kitty las es aus den
feuchtschimmernden Augen, die
ihr heute größer und dunkler
erschienen als je. In ihrer et-
was herben Art, die Gefühls-
äußerungen gern vermied, reichte
sie der jungen Frau die Hand.
Fritz weiß es?
„Ich habe es ihm eben auf der Fahrt
gesagt. Ich glaube, ich war deshalb
nur mitgekommen. Im Freien, finde
ich, kann man so etwas immer besser."
Deshalb war er auch so gehoben."
„Ja, er war sehr erfreut." Sie sprach noch man-
cherlei. Aber Kitty hörte nur mit halbem Ohre.
Ihre Gedanken gingen ihre eigenen Wege.
Das war das Glück, das höchste, vielleicht das
einzige für die Frau! Alles andere war ja nur
Notbehelf, ein armer, matter Ersatz für das, was
die Natur versagt. Denn die Natur ist die Alleinherrscherin für
das Weib und duldet nie andere Götter neben sich. Freilich ...
um zu diesem Glücke zu gelangen, mußte man einen Mann
wohl sehr liebhaben. Sie wenigstens —
„Du bist mit einem Male so nachdenklich geworden," unter-
brach Hilde ihren Gedankengang.
„Es geht einem jetzt so manches durch den Kopf," erwiderte
sie und blieb schweigsam.
Auch als sie später mit Will Tornow durch den kühlen, regneri-
schen Abend ritt, sprach sie nur wenig.
as unwirrsche Wetter, das Wochen andauerte, rief viele böse
Geister hervor. Aus allen Gründen und Winkeln kamen sie
gekrochen und setzten dem Menschen mit Krankheiten arg zu.
Für Fritz Landwehr gab es jetzt alle Hände voll zu tun, so
daß er den ganzen Tag in der Praris war und oft genug noch
in der Nacht aus dem Schlaf gestört wurde. Aber er ließ es sich
nie verdrießen und tat alles mit der freudigen, selbstlosen Liebe,
in der er seinen Beruf von jeher geübt hatte. Jetzt vollends,
wo er ein großes Glück im Herzen trug. «SHins; folgy

Wir gratulieren!
Nach einer Radierung von
Elfriede Wendtlandt


(Kunstverlag Amsler <L Ruthardt, Berlin W 8)
 
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