Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Das Buch für Alle


Ach erwerbe ein Hündchen! / Humoreske von Carl Marilaun

s begann nut Vcgelfutter. Oder besser gesagt: mit einem Knopf, den
ich mir ins Taschentuch machte. Ich besitze nämlich einen Vogel. Und
Lebewesen dieser Art lieben es nicht sehr, ihr Dasein mit frischem Hoch-
quellwasser zu fristen, weil der Vorrat an Vogelbeeren ausgegangen ist.
Der Knopf tat seine Schuldigkeit. Ich vergaß nicht, die Tierhandlung
aufzusuchen, in der man Goldfische, junge Alligatoren, Angorakatzen und
hoffentlich auch Vogelfutter bekommt. Außerdem gab es dort eine Ver-
käuferin, mit braunen oder blauen Augen und einer nicht zu großen
Schuhnummer. Solche Wesen sind wie geschaffen, mich vergessen zu lassen,
warum ich mir eigentlich einen Knopf ins Taschentuch gemacht habe.
„Ein Momenterl!" meinte zuvorkommend das Fräulein. „Gleich wer-
den wir haben, was der Herr wünscht!" Und sie tippte der Reihe nach
auf Goldfische, dänische Doggen, einen blauen Königspapagei und ein
herziges Paar frischgelegter Alligatoren. Ich winkte ab. So viel konnte
ich mich trotz schadhaften Gedächtnisses klar entsinnen, daß ich mir den
Knopf nicht gemacht hatte, um diesen Laden mit Goldfischen oder einem
Alligator an der Leine zu verlassen.
Ebenso war es nichts mit Kropftauben und Mehlwürmern. Auch die
Angorakatzen mußte ich ablehnen, obwohl mir die Verkäuferin ausein-
andersetzte, daß Angorakatzen im Falle Zurückgegangener Verlobung bei
den Damen sehr geschätzt sind. Jedenfalls konnten wir feststellen, daß
dieses Fräulein nicht alle Tage so schwierige Kundschaften bedient, wie
ich eine bin. Bis mir einfällt, warum ich mir Knöpfe in Taschentücher
mache, kommen die Alligatorenjünglinge meines Fräuleins in die Jahre,
in denen man für sie nicht mehr um kleine Kinder inserieren kann, weil
sie zum Frühstück bereits zwei Paar Möbelpacker benötigen.
In diesem Augenblick betrat ein Mann den Laden. Nicht allein. Son-
dern gefolgt von einem semmelfarbenen Köder, einen Meter zehn hoch,
Rasse schwer zu ermitteln. Aber mit vier Kälberfüßen, wie geboren, um
Handwagen zu ziehen, auf denen ein halber Mastochse oder ein ganzer
Konzertflügel Platz hat. Der Königspapagei stieß beim Anblick des semmel-
gelben Hundekalbes einen rostig röchelnden Entsetzensschrei um den andern
aus. Die Angorakatzen erlitten als feinbesaitete Geschöpfe Nervenchoke.
Und sogar die Goldfische verschluckten sich am Hochquellwasser.
Der Köder besah sich mit blutunterlaufenen Augen das hier versammelte
Tierreich, beroch die aufgesperrten Zahnladen der Alligatorenjünglinge
und probierte an meinem linken Hosenbein, wie Frühjahrscheviot, mohren-
grau, zart gestreift, schmeckt. Mit einem fremden Hund am Bein bezeigt
man bekanntlich kein brennendes Interesse für unbekannte Herren im
Tierladen. Ich unterließ es infolgedessen, mir die Physiognomie des
Hundebesitzers einzuprägen, was aus bestimmten Gründen, die sich gleich
Herausstellen werden, sehr nötig gewesen wäre. Der Herr des Hündchens
hielt sich übrigens nicht lange auf. Er hatte keinen Knopf im Taschentuch.
Er wußte, weshalb er hierhergekommen war, kaufte einen halben Liter
Ameiseneier und empfahl sich.
Die Türe schloß sich hinter ihm. Aber nicht hinter dem Hund. Der Hund
blieb da. Das gelbe Hundekalb war jetzt nämlich erst mit meinem linken
Hosenbein fertig und ich hatte noch ein rechtes. Den Hund zu stören
schien nicht ratsam. Hunde mit gutem Gebiß reizt man nicht wegen eines
bißchens Salonhose. Dies setzte ich dem Fräulein auseinander, das sich
erkundigte, ob mir schon eingefallen sei, weshalb-ich mir den Knoten
ins Taschentuch gemacht hatte.
Keine Rede davon, am allerwenig¬
sten jetzt, wo ich mir bereits Gedanken
machte, wie weit es von hier ins tier¬
ärztliche Institut zur Schutzimpfung
ist. „Richtig!" sagte das Fräulein mit
einem plötzlich erleuchteten Gesicht,
„Sie haben ja da ein nettes Hünd¬
chen, das habe ich gar nicht bemerkt!
Jetzt werden wir gleich auf den Knopf
im Taschentuch kommen: natürlich
braucht der Herr einen von unseren
hygienischen Maulkörben, neues Pa¬
tent, Marke .Hundewohl'."
Nun bin ich gewiß sehr dagegen,
daß fremde Hunde von Kälbergröße
ohne hygienischen Maulkorb auf mich
losgelassen werden. Aber ich habe
gar nichts dafür übrig, den Maul¬
korb mit meinem eigenen Geld zu
bezahlen. Dieser Hund besaß keinerlei

natürliche Rechte auf mich, dieses Untier ist aus Versehen in meinen Hosen-
beinen steckengeblieben. Ich versuchte, dies dem Fräulein klarzumachen.
Aber ich hatte kein Glück bei ihr. Ich hätte vielleicht mehr Glück gehabt,
wenn der Mann, der die Ameiseneier kaufte, im Tierladen versehentlich
ein Brillantarmband oder eine neue Damenbluse liegengelassen hätte.
Für Hunde aber hatte die Verkäuferin keine Verwendung. Hündchen
besitzt sie selbst, dazu Goldfische, Königspapageien, Kaninchen mit Salat,
Goldfische, Vogelfutter — halt, ha! Nun hatte ich es. Und ich erklärte
dem Fräulein, daß der Hund selbstverständlich zu ihrer Verfügung bliebe,
bis er abgeholt wird. Ich bekomme einen Viertelliter Vogelbeeren für
meinen Vogel!
„Eine Gemeinheit!" sprach diese Dame, deren nicht sehr ausgedehnte
Vorzüge ich nun aber wirklich die längste Zeit gewürdigt hatte. „Kommt
der Mensch um Vogelbeeren und will mir den Hund dalassen! Außerdem
ist das gar kein Hund, ich bin doch von dem Geschäft! Das ist eine Mischung
von einem Kalb und einem Aufspritzwagen! Was soll denn ich mit so
einem Untier anfangen? Bitte sofort den Laden zu verlassen. Sie sehen
doch, daß Sie schon meine ganzen Goldfische rebellisch machen!"
Wo jemand recht hat, hat er recht. Das mit den Goldfischen beruhte
auf Richtigkeit. Die gesamte Tierwelt in den Goldfischgläsern, Hunde-,
Katzen- und Vogelkäfigen befand sich in Hellem Aufruhr. Die Alligatoren
sägten bereits beunruhigt ihren Wassertrog entzwei. Das Fräulein tele-
phonierte um einen Schutzmann. Und der Köder setzte sich auf seine Hin-
teren Kälberfüße. Er hatte genug von meinen Hosenbeinen. Jetzt leckte
er an meiner Krawatte.
Der Schutzmann kam. Die Polizei ist ja immer da, wenn man sie
nicht braucht. Und der Schutzmann nahm meine Personalien auf, weil
es eine Rücksichtslosigkeit sondergleichen sei, anderthalb Meter hohe Hunde
mit einem Rachen voll Stoßzähnen ohne Maulkorb spazieren zu führen!
Meine Versicherung, daß ich niemanden spazieren führe, am allerwenigsten
Riesenhunde, die nicht mir gehören, erfuhr hohnvolle Ablehnung. „Das
kennen wir schon!" bemerkte das Fräulein spitz. „Zuerst halten sich die
Leute so ein unschuldiges Viecherl. Und dann, wenn es ein bisserl größer
wird, möchten sie es mir nichts dir nichts in einem fremden Geschäft
stehen lassen!"
Was blieb übrig? Ich habe zu Hause einen Gimpel, der Vogelbeeren
so dringend braucht wie dieses Untier einen Maulkorb. Ich kaufte den
Maulkorb „Hundewohl". Nur unter dieser Bedingung erklärte sich das
Fräulein bereit, mir mit Vogelbeeren auszuhelfen. Außerdem benötigte
ich eine Leine. Denn mein Hund gehörte zwar nicht mir, aber der Schutz-
mann machte mich auf meine staatsbürgerliche Obliegenheit aufmerksam,
dieses Tier sofort und ohne Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nach
Hause zu bringen.
Und da der Hund sein Dasein auf die Dauer unmöglich bloß von meiner
Cheviothose fristen konnte, kaufte ich zu den Vogelbeeren, dem Maul-
korb und einer guten Kälberleine noch fünf Pfund Hundekuchen. Als
Großeinkäufer begann ich dem Fräulein wieder einige Sympathien ab-
zugewinnen. Und sie versicherte, daß mir für den Fall, daß ich auf diesen
Hund wirklich erst vor fünf Minuten gekommen sei, nicht genug gratu-
liert werden könne, denn soviel Hund auf einmal bekomme man nicht
alle Tage geschenkt. Ich hatte keinen Anlaß, ihr zu widersprechen.
„Mit so etwas," sprach sie schmel-
zend, „kann der Herr jeden Augenblick
im Zirkus auftreten!" Und der blaue
Königspapagei gröhlte zustimmend.
Die Angorakatzen miauten. Die Alli-
gatoren rasselten mit ihren Kinnladen.
Die Goldfische lachten hinter den vor-
gehaltenen Flossen. Und der Schutz-
mann schrieb mich noch einmal auf,
weil er zu seinem Entsetzen entdeckt
hatte, daß mein semmelgelbes Hunde-
kalb noch nicht einmal die gesetzlich
vorgeschriebene Steuermarke besaß.
Mein Vogel aber bekam einen dop-
pelseitigen Schlaganfall, als er des
Hündchens, auf das ich infolge schwer
begreiflicher Schicksalsfügung gekom-
men war, ansichtig wurde.
Ich glaube, ich werde mir niemals
wieder wegen Vogelbeeren einen
Knopf ins Taschentuch machen.


Mein Vogel / Nach einer Bronzeplastik von Hans Ischinger
 
Annotationen