Heft 28
Das Buch für Alle
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Die himmelstrebende Weltstadt Neuyork, vom Flugzeug aus gesehen. (Phot. Willy Rüge)
Er schlingt die Zügel seines Rappen um den schlanken Stamm
einer Birke, verknüpft sie im leicht geschürzten Knoten, wie er
es so manches Mal getan. Dann klimmt er die kleine Anhöhe
empor, entkleidet sich schnell und will den sehnigen, von manchem
Sonnenbad im Süden gebräunten Leib den drüben von den
Hügeln her auf ihn eindringenden Lichtstrahlen einige Zeit preis-
geben, denn er fühlt, daß sein Blut noch in starker Wallung ist
und er es so nicht den kalten Fluten aussehen darf.
Da wiehert sein Rappe. Ein anderes Wiehern von der Ferne
her antwortete ihm.
Er horcht auf, vernimmt das Knacken trockener Aste und dann
ganz deutlich Pferdegetrappel. Nun sieht er die Schatten zweier
Reiter, die durch die sonnenbeschienenen Pfade dahingleiten.
Keine Frage, es sind Kitty und Will Tornow, die nach alter
Gepflogenheit durch ihr Holz streifen und jetzt auf den Weg ein-
zubiegen scheinen, an dem sein Hügel sich befindet.
Die entlaubten Buchen bieten keine Deckung. Es bleibt ihm
nur eine Möglichkeit — mit einem Kopfsprung stürzt er sich in
den See, taucht empor, macht mit den Armen einige Stöße
vorwärts, fühlt die eiskalten Wasser wie mit scharfen Messern
in seinen Leib schneiden. Ihm machen sie wenig aus. Nichts
empfindet er als prickelndes, unbeschreibliches Wohlbehagen.
Als er zurückschwimmt, sieht er sich noch einmal nach den
Reitern um. Sie scheinen sich besonnen und einen anderen Weg
eingeschlagen zu haben, der in gerader Richtung auf den Guts-
hof führt.
Hell wiehert der Rappe, ein Specht klopft— dann ist alles still.
ls Kitty und Will Tornow ihre Pferde dem Kutscher über-
geben hatten und in das Arbeitszimmer des Großvaters
traten, wo sie an Hand der Bücher noch einiges zu besprechen
hatten, fanden sie dort Fritz Landwehr vor.
Er war jetzt sehr oft in Berghof, als triebe es ihn immer
wieder an die Stätte zurück, wo die geliebte Frau gelebt und
er das Glück seines Lebens gefunden hatte. Eifriger als je ging
er seiner Arbeit nach. Die Liebe zu den leidenden Menschen trat
immer sichtbarer hervor, gab ihm die Kraft zur unentwegten
Pflichterfüllung, und Kitty und Will Tornow erkannten zu ihrer
stillen Freude, daß damit allmählich doch eine gewisse innere
Befriedigung in seine verwundete Seele zog.
Aber etwas anderes entging ihnen nicht, worüber sie manch-
mal sprachen und es sich doch nicht zu erklären vermochten: daß
etwas in ihm brütete, etwas Finsteres, Geheimnisvolles. Und
das erfüllte sie mit schwerer Sorge. Leo Lawells Name kam nie
mehr über seine Lippen.
Man hatte ein einfaches Mittagessen eingenommen. Während
sich Fritz Landwehr dann ein Buch aus Hildes Schrank genommen
hatte, wie er es mit Vorliebe tat, wenn er in Berghof war,
hatten die beiden anderen ihre Arbeit fortgesetzt, für die ihnen
in der Woche keine Zeit blieb. Will Tornow stellte kurze Be-
rechnungen an, gab auch einige praktische Winke und Ratschläge,
für die Kitty ihm dankbar war. Gerade in dieser Zeit, wo so
vieles auf sie eingestürmt war und Hildes Tod in ihr Leben
eine nicht mehr zu ersetzende Lücke gerissen hatte, war ihr der
Wert seiner Freundschaft, seiner stets ruhigen und besonnenen
Das Buch für Alle
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Die himmelstrebende Weltstadt Neuyork, vom Flugzeug aus gesehen. (Phot. Willy Rüge)
Er schlingt die Zügel seines Rappen um den schlanken Stamm
einer Birke, verknüpft sie im leicht geschürzten Knoten, wie er
es so manches Mal getan. Dann klimmt er die kleine Anhöhe
empor, entkleidet sich schnell und will den sehnigen, von manchem
Sonnenbad im Süden gebräunten Leib den drüben von den
Hügeln her auf ihn eindringenden Lichtstrahlen einige Zeit preis-
geben, denn er fühlt, daß sein Blut noch in starker Wallung ist
und er es so nicht den kalten Fluten aussehen darf.
Da wiehert sein Rappe. Ein anderes Wiehern von der Ferne
her antwortete ihm.
Er horcht auf, vernimmt das Knacken trockener Aste und dann
ganz deutlich Pferdegetrappel. Nun sieht er die Schatten zweier
Reiter, die durch die sonnenbeschienenen Pfade dahingleiten.
Keine Frage, es sind Kitty und Will Tornow, die nach alter
Gepflogenheit durch ihr Holz streifen und jetzt auf den Weg ein-
zubiegen scheinen, an dem sein Hügel sich befindet.
Die entlaubten Buchen bieten keine Deckung. Es bleibt ihm
nur eine Möglichkeit — mit einem Kopfsprung stürzt er sich in
den See, taucht empor, macht mit den Armen einige Stöße
vorwärts, fühlt die eiskalten Wasser wie mit scharfen Messern
in seinen Leib schneiden. Ihm machen sie wenig aus. Nichts
empfindet er als prickelndes, unbeschreibliches Wohlbehagen.
Als er zurückschwimmt, sieht er sich noch einmal nach den
Reitern um. Sie scheinen sich besonnen und einen anderen Weg
eingeschlagen zu haben, der in gerader Richtung auf den Guts-
hof führt.
Hell wiehert der Rappe, ein Specht klopft— dann ist alles still.
ls Kitty und Will Tornow ihre Pferde dem Kutscher über-
geben hatten und in das Arbeitszimmer des Großvaters
traten, wo sie an Hand der Bücher noch einiges zu besprechen
hatten, fanden sie dort Fritz Landwehr vor.
Er war jetzt sehr oft in Berghof, als triebe es ihn immer
wieder an die Stätte zurück, wo die geliebte Frau gelebt und
er das Glück seines Lebens gefunden hatte. Eifriger als je ging
er seiner Arbeit nach. Die Liebe zu den leidenden Menschen trat
immer sichtbarer hervor, gab ihm die Kraft zur unentwegten
Pflichterfüllung, und Kitty und Will Tornow erkannten zu ihrer
stillen Freude, daß damit allmählich doch eine gewisse innere
Befriedigung in seine verwundete Seele zog.
Aber etwas anderes entging ihnen nicht, worüber sie manch-
mal sprachen und es sich doch nicht zu erklären vermochten: daß
etwas in ihm brütete, etwas Finsteres, Geheimnisvolles. Und
das erfüllte sie mit schwerer Sorge. Leo Lawells Name kam nie
mehr über seine Lippen.
Man hatte ein einfaches Mittagessen eingenommen. Während
sich Fritz Landwehr dann ein Buch aus Hildes Schrank genommen
hatte, wie er es mit Vorliebe tat, wenn er in Berghof war,
hatten die beiden anderen ihre Arbeit fortgesetzt, für die ihnen
in der Woche keine Zeit blieb. Will Tornow stellte kurze Be-
rechnungen an, gab auch einige praktische Winke und Ratschläge,
für die Kitty ihm dankbar war. Gerade in dieser Zeit, wo so
vieles auf sie eingestürmt war und Hildes Tod in ihr Leben
eine nicht mehr zu ersetzende Lücke gerissen hatte, war ihr der
Wert seiner Freundschaft, seiner stets ruhigen und besonnenen