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656 ..... Das Buch
Art umso mehr zum Bewußtsein gekommen, als sie sich selber
von allerlei auf und nieder wogenden Empfindungen um ihre
alte Sicherheit gebracht sah.
Da störte sie alle drei das Läuten des Fernrufers aus ihrer
eifrigen Tätigkeit.
„Klinik des Doktor Lawell," vernahm Kitty, die sich auf die
Diele begeben und den Hörer ergriffen hatte. „Ob der Herr
Doktor vielleicht in Berghof wäre?" „Nein, er wäre nicht hier,
er käme überhaupt nicht mehr nach Berghof, und man wüßte
gar nicht, daß er bereits von seiner Reise zurückgekehrt wäre."
„Ja, er wäre zurück, er wäre des Morgens in der Frühe an-
gekommen, hätte die notwendigsten Arbeiten erledigt, auch eine
kurze Sprechstunde abgehalten und wäre dann in den Wald
geritten. Er hätte aber hinterlassen, daß er zu Mittag bestimmt
dasein würde und daß er früh essen müßte, weil er gleich nach
Tische einige Patienten von außerhalb bestellt hätte. Nun wäre
es bereits drei Uhr, und da immer noch nichts von ihm zu sehen
wäre, so wäre man in begreiflicher Aufregung und würde Boten
nach ihm aussenden."
„So wäre er es am Ende doch gewesen?" fragte Kitty, nach-
dem sie sich zu den anderen zurückbegeben hatte, die bei der ge-
öffneten Tür den größeren Teil des Gesprächs mit angehört
hatten.
„Wir müssen uns unverzüglich auf die Suche begeben," sagte
Will Tornow, ohne auf ihre Frage zu antworten. „Wir kennen
die Stelle am besten und werden sie schneller erreichen als die
Boten, die man aus Breitenbach sendet."
Mit keiner Silbe hatte sich Fritz Landwehr an dem Gespräch
beteiligt.
„Du wirst uns begleiten, nicht wahr?" wandte sich Will Tornow
an ihn.
„Zu welchem Zwecke?"
„Es könnte sein, daß man eines Arztes bedürfte."
Fritz Landwehr zuckte die Achseln.
„Inder Not hilft man auch seinem Feinde," sagte Will Tornow.

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„Er half mir nicht in meiner Not."
Scharf und abweisend kam es von seinen Lippen.
Da trat Kitty an ihn heran: „Ich bitte dich, daß du mit uns
kommst."
Er erwiderte nichts, nahm aber Mantel und Mütze und folgte
zögernd, widerstrebend den beiden anderen, die vorangegangen
waren. Sie brauchten nicht lange zu suchen. Will Tornow ent-
deckte ihn zuerst.
Unterhalb des Hügels am Ufer des Sees lag er, nackt, lang
ausgestreckt, das Gesicht in den feuchten Boden gewühlt... ohne
jedes Zeichen des Lebens.
Er winkte Kitty zu, daß sie nicht weiterginge. Dann rief er
Fritz Landwehr und zog sich selber zurück.
Fritz Landwehr war mit dem Toten allein.
Auf den ersten Blick sah er, daß hier nichts mehr zu tun war.
Eine ganze Weile stand er ihm schweigend gegenüber. Wunder-
bare Gedanken gingen ihm durch Kopf und Herz.
„Das ist der Mensch!" sagte er zu sich selber. „Da liegt er,
hilflos und nackt, dessen Wille alle zwang und beherrschte!"
Um die feingeschwungenen Lippen spielte noch ein Hauch
des stolzen Lächelns, das ihm im Leben zu eigen war; ein
Schimmer von Glückseligkeit breitete sich über die unveränderten
Züge und nahm ihnen das Starre und Erstorbene.
„Unbesiegt... noch im Tode!" murmelte Fritz Landwehr vor
sich hin, drückte ihm nach kurzem innerem Kampf die Augen zu
und bedeckte den Körper mit den Kleidungsstücken, die er vom
Hügel herabholte.
Da sah er auf und wurde des Pferdes gewahr, das mit müde
gesenktem Kopf festgebunden an dem schlanken Birkenstamm
stand, ein treuer Totenwächter seines Hingeschiedenen Herrn.
Er klopfte ihm den Hals, lockerte ihm ein wenig die straff-
gezogenen Zügel. Da wieherte das Tier einige Male auf, wie
es vorhin gewiehert hatte, als sein Herr in den See ging. Selt-
sam klang sein Wiehern durch den Wald.
Ganz still lag dieser. Nur der Specht hämmerte noch. Sonst


„O schöne Zeit, 0 selige Zeit..." / Nach einer Aufnahme von M. M. Wend in Nürnberg
 
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