Über den Wogen des Nebelmeers auf dem 2gzo Meter hohen Harney Peak in den Vereinigten Staaten von Nordamerika
(Cop. Publishers Photo Service)
war kein Laut hörbar. Blatzgrau spannte sich der Himmel, die
Wolken hatten zugenommen. Endlos breitete sich der See.
„Ein Herzschlag," sagte er, indem er zu den beiden anderen
trat. „Als er aus dem Wasser stieg, mutz er ihn ereilt haben."
Ein langes, ununterbrochenes Schweigen.
„Es ist genau derselbe Tag, an dem damals Hildes Mutter
ertrank," sagte schließlich Kitty. Und dann zu Fritz Landwehr:
„Glaubst du an so etwas?"
„Ich glaube nicht an den See," erwiderte der langsam. „Auch
nicht an das Opfer, das er fordert. Aber ich glaube an geheimnis-
volle Kräfte, die, uns verborgen, auf dem Plane sind, den Wer-
mut der Menschen zu strafen... zu rächen, zu vergelten "
Er hielt inne. Eine tiefe Bewegung war in ihm, und über seine
gewölbte Stirn zuckte der Aufruhr. „Leo Lawell aber kann
dem See dankbar sein, datz er ihn in seinen Abgrund gelockt
hat —"
„Dankbar? Weshalb?" fragte Kitty mit einem schmerzlichen
Lächeln, als er, von seiner Erregung überwältigt, innehielt.
„Weil ich ihn sonst getötet hätte!" brach es mit ungehemmter
Gewalt aus Fritz Landwehrs tiefstem Innern. „Nun hat mir
der See die Rolle des Rächers abgenommen."
in langer, dunkler Winter, in dem man in Berghof und
Breitenbach einsam und allerlei ernsten Gedanken hingegeben
lebte, hat nach manchem Trutz und Kampf dem neuen Werden
das Feld geräumt. Und wieder ist es ein Sonntag, und Kitty
und Will Tornow wandern durch Wald und Feld. Sie haben
diesmal ihre Pferde zu Hause gelassen, die haben genug in der
Frühjahrsbestellung zu tun gehabt; denn in diesen schweren
Zeiten mutzten selbst sie den stolzen Nacken unter das Joch der
ungewohnten und wenig standesgemäßen Arbeit stecken.
Es kommt ihnen zuerst ganz wunderlich vor, so zu Fuß zu
pilgern, denn Landleute pflegen nicht spazierenzugehen, am
wenigsten am Sonntag. Aber manches sieht man besser, wenn
man wandert; sie haben auch dies und das zu besprechen, und
bei dem herrlichen Wetter ist die Stube zu eng und zu dumpf.
Wundervoll ist es im Walde. Die schlanken, ranken Birken
neigen sich hin und her wie junge hübsche Mädchen, die zum
erstenmal ihr neues Sonntagskleid tragen. Das grüne Dämmern
ringsumher dämpft den Glanz der Sonne, die die Morgennebel
besiegt hat und mit den königlich ausgestreckten Flügeln warm
und golden auf dem See ruht.
Der liegt so still und friedlich da, so unbeweglich und bleiern,
datz man ganz vergißt, datz es Wasser sind, die er birgt, und
ihn eher als eine große blaue Stahlplatte oder ein weites Feld
voll hellgrüner Halme ansehen möchte, je nach dem Gesichts-
punkt, von dem aus man ihn erblickt.
Kein Luftzug regt sich; das leichte Hin- und Herflimmern der
Sonnenlichter auf der ehernen Fläche scheint die einzige Be-
wegung zu sein. Manchmal rührt sich das Schilf, als streiche ein
28. 1927