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Das Buch für Alle


Negiert der Mond unser beschick?
Von Max Valier, München

IIen Bemühungen der Fachwissen¬
schaft zum Trotz, die seit über
hundert Jahren bestrebt ist, den alten
„Mondaberglauben" zu bekämpfen, hat
sich im breiten Volke doch die Über¬
zeugung ungeschwächt erhalten, daß der
Mond in vieler Hinsicht im ganzen Reich
der Natur, insbesondere auch auf den
Menschen einen bestimmenden Einfluß
ausübt. Es wird daher nicht unwill¬
kommen sein, wenn hier das ganze strit¬
tige Gebiet der Mondeinflüsse auf Natur
und Mensch erörtert wird.
Zunächst sei die Frage so gestellt:
Welche Einwirkungen schreibt die bis¬
herige Meinung unserem Monde zu? —
Die Antwort gliedern wir zweckmäßig
nach den Reichen der Natur.
In bezug auf die unbelebte Welt der
festen, flüssigen und gasförmigen Kör¬
per, das heißt den Erdball, die Meere
und das Luftreich, wird behauptet,
daß der Mond auf ihnen „Gezeiten"
hervorruft, indem alle Massen seiner
unmittelbaren Anziehungskraft (im
Sinne der Newtonschen Gravitation)
unterliegen. Ohne weiteres beobachtbar
sind davon freilich nur die „hydrosphä¬
rischen" Gezeiten des Meeres, die unter
dem Namen Ebbe und Flut bekannt
sind. Sie bestehen in einer regelmäßig
erfolgenden Schwankung der Höhe des
Meeresspiegels relativ zum festen Lande
und erreichen in einzelnen Gegenden
der Erde Unterschiede bis über acht
Meter. Aber es ist erwiesen, daß auch
der Gesteinmantel der Erde selbst in
ganz ähnlicher Weise atmet und He¬
bungen und Senkungen von einigen
Dezimetern erfährt, wenn wir das auch
nicht ohne wissenschaftliche Hilfsmittel
bemerken können, weil wir diese
Schwingungen selbst mitmachen. Eben¬
so hat man sich vorzustellen, daß der
Mond auch in dem die Erde umgeben¬
den Luftozean An- und Abschwellungen
hervorruft. Entsprechend den Bewe¬
gungen des Meeresspiegels spricht man
daher in der Wissenschaft auch von
„lithosphärischen" und von „atmosphä¬
rischen" Gezeiten.
In das G ebiet d er Mond einwirkung en
auf die unbelebte Natur gehört auch
die vielumstrittene Frage, ob der Mond
einen Einfluß auf das Wetter ausübt.
Der Volksglaube antwortet mit einem in voller Überzeugung aus-
gesprochenen Ja; die Wissenschaft verhält sich skeptischer — ja, im großen
und ganzen ablehnend. Weil ihre gewöhnlichen Meßinstrumente keine
Mondwirkung verzeichnen, darum glaubt sie zu dieser Stellungnahme be-
rechtigt zu sein. Aber daß die Quecksilberbarometer keine Luftdruckschwan-
kung unter dem Einfluß der Mondanziehung verraten, darf nicht wundern,
da das Gewicht der Quecksilbersäule in demselben Maße verändert werden
muß wie das der Luft. And Aneroidmessungen sind wieder zu wenig fein,
um barometrische Druckschwankungen von dieser Größenordnung, die jeden-
falls unter iFg Millimeter liegen, zu verzeichnen. Daß auch die gewöhn-
lichen Thermometer keine bemerklichen Temperaturwirkungen der Mond-
einstrahlung zeigen, ist ebenfalls nicht weiter erstaunlich, denn dazu ist die
Wärmestrahlung des Mondes viel zu gering. Wie der Mond endlich auf das

Hygrometer direkt einwirken sollte, ist
überhaupt nicht recht einzusehen. Also
ist es eigentlich selbstverständlich und
beweist gar nichts, wenn die gegen-
wärtigen drei Hauptinstrumente des
Meteorologen eine Mondwirkung nicht
aufzeichnen. Auf diesem Wege wird
man der wissenschaftlichen Lösung der
Frage des Mondeinflusses offenbar nicht
beikomm en können. Man muß es an-
ders versuchen.
Das Verdienst, hier den Weg gewie-
sen zu haben, gebührt, wie so oft in der
Geschichte der neueren Naturwissen-
schaft, einem Außenseiter, nämlich
dem Kaplan Richter in Schlesien. In
Oberschlesien herrschte nämlich der
Volksglaube, daß der mitternachts her-
auskommende Mond (das ist der stark
abnehmende Mond des letzten Viertels,
nicht etwa der Vollmond!) die Gewitter
„bezwinge", das heißt zur Auflösung
bringe oder vertreibe. Richter wollte
ursprünglich diesen Aberglauben wider-
legen, mußte aber schließlich bestätigen,
daß bei Vollmond eine starke Häu-
fung der Gewitter auftritt und daß beim
letzten Viertel die Gewitterzahl rasch
zurückgeht. Richter sandte 1888 seine
Ergebnisse zur weiteren Nachprüfung
an den Meteorologen Köppen, der
sie ebenfalls bestätigen mußte. Somit
ist ein bedeutender Einfluß der Mond-
phase auf die Gewitterhäufigkeit als
wissenschaftlich nachgewiesen zu erachten.
Angeregt durch Richters Forschungen
haben sich dann Ekholm und der nor-
dische Kosmophy siker Sv ante Arrh enius
mit diesen Fragen befaßt und gefun-
den, daß tatsächlich eine Periodik aller
lüft elektrisch en Erscheinungen von 27,32
und eine von 25,929 Tagen besteht. Die
letzte brachten sie mit der Sonnenrota-
tion, die erste mit dem Mondumlauf in
Verbindung, denn tatsächlich dreht sich
der Sonnenball von der Erde aus ge-
sehen in rund 26 Tagen um seine Achse,
und der Mond benötigt zu einem fir-
st ernbezüglich en Umlauf um unseren
Heimatstern 27,32 Erdentage. Nach Ek-
holm und Arrhenius wäre die Einwir-
kung des Mondes auf das Wetter also
keine direkte, sondern nur eine mittel-
bare, indem der Mond die luftelektri-
schen Zustände beeinflußt, die für die
meisten Wettererscheinungen maßgebend sind.
In bezug auf das Pflanzenreich sind die Einflüsse des Mondes natur-
gemäß noch weit verwickelter und noch viel schwieriger wissenschaftlich zu
erfassen. Auch auf das Tierreich übt der Mond sicherlich einen weitgehenden
Einfluß, bloß ist es für uns unendlich schwer zu beurteilen, inwiefern der
Mond am besonderen Verhalten der Tiere die Schuld trägt. Auch wurden
Beobachtungen in dieser Richtung bisher kaum in größerem Umfange
gemacht.
Außerordentlich vielseitig sind die Behauptungen über die Mondeinflüsse
auf den Menschen. Bevor wir auf sie näher eingehen, sei aber festgestellt,
daß anscheinend nur eine gewisse Gruppe von Menschen dem Einflüsse des
Mondes merklich unterliegt, während der größere Teil gegen ihn unempfind-
lich erscheint. Es ist nun höchst bemerkenswert, daß tatsächlich gerade jene

Nördliche Mondhemisphäre zur Nachmittagszeit
 
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