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Architekten- und Ingenieur-Verein <Frankfurt, Main> [Editor]; Wolff, Carl [Oth.]
Die Baudenkmäler in Frankfurt am Main (Band 3): Privatbauten — Frankfurt a. M., 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.25633#0231
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Frankfurter Bauherrn und Baumeister, welchen übertriebene Sparsamkeit
und allzu nüchterne Ueberlegung ebenso fern lag, als unnöthiger Prunk.
Aus allen Belegen über den Umbau geht zweifellos hervor, dass es
dem Rath Goethe vor allem darauf ankam, die, durch das kleine, niedrige
Nebenhaus nur unzulänglich bebaute Grundfläche seines Besitzes nach
Möglichkeit gänzlich auszunutzen, dadurch dass er das Nebenhaus beseitigte
und um dessen Breite das Haupthaus erweiterte. Ein eigentlicher Neubau
entstand daher nur auf der Stelle des Nebenhauses, während das Haupt-
haus nur theilweise umgebaut wurde, so weit als es nötliig war um ein
regelmässiges, zusammenhängendes Ganze zu erhalten, welches in seiner
neuen Eintheilung des Grundrisses und des Aufbaues noch abhängig blieb
von dem alten, nicht völlig beseitigten Baue; in dem jetzigen Baue sind
uns also wesentliche Theile von Goethes Geburtshaus noch erhalten. Der
Bauherr musste auch einen völligen Neubau des Haupthauses vermeiden,
um den Ueberhang im zweiten Obergeschosse nicht aufgeben zu müssen,
welcher daselbst den Zimmern eine beträchtliche Vergrösserung gegen
das Erdgeschoss verlieh, nämlich längs der Front einen Streifen von 1,20 m
Breite. Nach der vom Rathe der Stadt am 27. Juli 1719 in Folge des
grossen Brandes erlassenen und am 6. Mai 1749 erneuerten Bauverordnung
war bei Neubauten nur ein Ueberhang im ersten Obergeschosse gestattet
und zwar in engen Strassen mit einem halben, in breiten mit einem Fuss
Ausladung*). Das Bau-Amt nahm in diesem Falle von der Erfüllung
dieser Verfügung Abstand, da der an Stelle des Nebenhauses neu hinzu-
tretende nördliche Flügel thatsächlich nur als Ergänzungsbau betrachtet
werden konnte, und man hätte die Erlaubniss zur Durchführung des zweiten
Ueberhanges in dem neuen Flügel nicht ertheilt, wenn das Haupthaus
im Verlaufe des Baubetriebes nach und nach von unten her gänzlich aus-
gewechselt worden wäre. Allerdings stimmt mit dieser Aulfassung Goethes
eigene Schilderung in „Dichtung und Wahrheit" nicht völlig überein:
„Mein Vater, um den vorspringenden Raum im zweiten Stock auch nicht
aufzugeben, wenig bekümmert um äusseres architektonisches Ansehen und
nur um innere gute und bequeme Einrichtung besorgt, bediente sieh, wie
schon mehrere vor ihm gethan, der Ausflucht, die oberen Teile des Hauses
zu unterstützen und von unten herauf einen nach dem andern wegzunehmen
und das Neue gleichsam einzuschalten, sodass, wenn zuletzt gewisser-
massen nichts von dem Alten übrig blieb, der ganz neue Bau noch immer
für eine Reparatur gelten konnte". Mit Recht hat Volger auf Grund der
ihm vorliegenden archivalischen Quellen und sorgfältiger Beobachtungen
am Baue selbst diese Stelle folgendermassen beurtheilt: „Goethe hebt die
Erneuerung möglichst stark hervor, setzt aber selbst da, wo er nur be-

*) Schon 1418 und 1455 hatte der Rath Verordnungen erlassen, welche die Ueber-
hänge etwas beschränkten. Vgl. Sommer, Die bauliche Entwicklung der Stadt
Frankfurt a. M., S. 20; Volger S. 58.
 
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