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Blum, Gerd
Hans von Marées: autobiographische Malerei zwischen Mythos und Moderne — München, Berlin, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.14541#0037

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1.3. Der synthetische Ansatz der vorliegenden Arbeit

gehensweise auch aus historischer Sicht nahe. Denn beide Ansätze sind in Äuße-
rungen des Malers und seines unmittelbaren Umkreises angelegt. Das Problem his-
torischer Legitimation stellt sich bei Marees auch dem formalästhetischen Zugang
nicht. Denn die für die klassische europäische Malerei insbesondere vor dem
18. Jahrhundert nicht leicht zu beantwortende Frage, ob die jeweilige Zeit >for-
male< Sehweisen kannte und ob der Künstler diese bewusst angelegt hat,89 ist bei
Marees aufgrund der Quellenlage eindeutig zu bejahen.
Erst die Analyse des - durchaus ambivalenten und spannungsvollen - Verhält-
nisses von Syntax und Semantik in den >Hesperidenbildern< erschließt ihren histo-
rischen Zusammenhang mit der Figurenmalerei des internationalen Klassizismus
um 1800 und ihre konzeptuellen Parallelen mit Figurenbildern seiner Zeitgenossen
Cezanne und Manet, in deren Malerei die zeitgenössische Kritik ebenfalls eine neu-
artige Emanzipation der Form wahrnahm. Hervorzuheben ist hier der Essay
Emile Zolas zu Manet,90 der das spätere Verständnis dieses Künstlers ähnlich mas-
siv geprägt hat wie Fiedlers Nachruf und Wölfflins Aufsatz die Marees-Interpreta-
tion. Wie für Cezanne, so konnten allerdings auch für Manet in der jüngeren For-
schung autobiographische Inhalte und sinnbildlich->allegorische< Themen zweifels-
frei belegt werden. Auch die Rezeptionsgeschichte dieser beiden Maler ist durch
die partielle Ablösung eines formalen durch ein autobiographisches und thema-
tisch orientiertes Interpretationsparadigma in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun-
derts gekennzeichnet. Eine Vermittlung beider Positionen ist allerdings auch in
ihrem Fall bislang noch nicht gefunden worden.91

1.3.1. Fiedlers Diagnose eines Widerstreits von Inhalt und Form
Die bisher nicht gestellte Frage nach dem Zusammenhang zwischen autobiographi-
scher bzw. sinnbildlicher Thematik und formaler Stilisierung bei Marees knüpft an
eine zentrale, jedoch in der Marees-Forschung folgenlos gebliebene These Fiedlers
an. Wie Boehm ausgeführt hat, spricht Fiedler - im Unterschied zu der sich auf ihn
berufenden Deutungstradition - von einem doppelten Anliegen des Malers.92 Dieser
habe nicht nur in sehr moderner Weise eine autonome bildnerische Gestaltung an-
91 Dies ließe sich exemplarisch an der Rezeptionsgeschichte von Cezannes Badenden und Manets
Dejeuner sur l’herbe zeigen: Den formalistischen Deutungen der ersten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts ist seit den siebziger Jahren durch ikonographisch und biographisch ausgerichtete
Auslegungen widersprochen worden, namentlich in Mauners klassischer Studie zu Manets
Dejeuner sur l’herbe (Mauner 1975, S. 7—102) und in Krumrines Monographie zu den Baden-
den Cezannes (Krumrine 1989). Obwohl neuere Untersuchungen zu Manets Dejeuner sur
l herbe sowohl thematische als auch formale Aspekte ansprechen, werden die semantischen
Implikationen der neuartigen formalen Bildstruktur Manets in der Forschung wenig hcrausge-
arbeitet (siehe Pointon 1990, Körner 1996 und ders. 1997, Locke 2002, Armstrong 2002). Vgl.
hierzu Blum 2002. Ähnliches gilt für die Cezanne-Forschung. Eine bedeutende Ausnahme stellt
Badts Cezanne-Studie von 1956 dar, die semantische und syntaktische Merkmale seiner Male-
rei zusammensieht.
92 Vgl. Boehm 1987, S. 149.

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