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Blum, Gerd
Hans von Marées: autobiographische Malerei zwischen Mythos und Moderne — München, Berlin, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.14541#0138

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IV. Zur Genese der »Hesperidenbilder* (1875 — 1880)

Gedos Analyse von Manets Bar aux Folies-Bergere}3 Diese Beiträge übersehen ge-
rade wegen ihrer vielfältigen und oftmals für das Bildverständnis zentralen Beob-
achtungen zu Anspielungen und Zitaten aus dem traditionellen allegorischen
Apparat die fortgeschrittene Krise des konventionalisierten Bedeutungssystems
der traditionellen Ikonographie zur Zeit von Marees.14 Diese Krise zeigt sich in der
Herausbildung »privater«, oftmals der »Lebensgeschichte entnommener Ikono-
graphien«13 seit der Romantik, die in der Malerei einzelner Künstler der Vergan-
genheit — insbesondere von Giorgione und Rubens — präfiguriert zu sein schienen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird allerdings in einer durchaus neu-
artigen Radikalität die Vita der Künstler zu einem bestimmenden Gegenstand ihrer
Bilder, der die klassischen Themen teilweise ersetzt. Auf autobiographische, »pri-
vate Themen«16 haben erstmals Nils Gösta Sandblad, Kurt Badt und Meyer Scha-
piro bei Manet und Cezanne hingewiesen,1' nachdem Carl Einstein schon 1926 im
Hinblick auf Picasso von »privater Mythologie« gesprochen hatte.111 Die »persön-
liche Ikonographie* von Marees wird in dieser Studie erstmals umfassend erschlos-
sen. »Private Themen« in der Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
sind eine Reaktion auf den Zerfall der traditionellen Bildrhetorik. Dies gilt auch
für die Herausbildung »eigener Genres* etwa in den Serien der Badenden Cezannes
und in den »Hesperidenbildern*. In ähnlicher Weise zeigen auch die späten Figu-
13 Mauner 1975; Krumrine 1989; Gedo 1994.
14 Dieser gewissermaßen kryptoikonographische Forschungsansatz gerät dabei in die Gefahr,
moderne* Bildfindungen von Manet und Cezanne wie klassische Allegorien zu interpretieren.
ohne die semantischen und syntaktischen Besonderheiten ihrer Bildsprache zu berücksich-
tigen. Vgl. Lenz 1989.
15 Boehm 1999. Der geläufige Ausdruck »private Ikonographie* begegnet in der Literatur zum
späteren 19. Jahrhundert meines Wissens erstmals bei Adriani 1980, S. 6. Das Phänomen wird
jedoch der Sache nach schon bei Sandblad 1954, Badt 1956 (»private Themen«) und Schapiro
1968 beschrieben. Innerhalb der Marees-Literatnr spricht schon Ueberwasser 1949, S. 64, von
»einer persönlichen, nur wenigen mehr verständlichen Mythologie« bei Marees.
16 Badt 1956, S. 104. Von den frühen >Idyllen< Cezannes, die ähnlich wie die in Kapitel 11 der
vorliegenden Arbeit analysierten frühen Gemälde von Marees autobiographische Themen
durch Variation künstlerischer Vorbilder verbildlichen, spricht Badt als von einer »Gruppe
höchst persönlicher Bekenntnisse« (ebd., S. 71).
17 Vgl. in der vorliegenden Arbeit 1.2.2.
18 Einstein 1996 [1926], S. 112. Im Diskurs über Kunst, die seit den 60er Jahren des 20. Jahr-
hunderts entstanden ist. hat Harald Szeemanns Begriff der »individuellen Mythologien« große
Resonanz gefunden (vgl. Szeemann 1985).
19 Pidoll 1930 [1890], S. 10. Vgl. zur Ikonographie bei Marees jüngst Fehrenbach 2005.
20 Busch 1985, S. 14. Vgl. etwa auch ebd., S. 15f.; Badt 1956, S. 104L; Hofmann 1974 (1960)
S. 19f.
21 So etwa Hofmann 1974 (1960), S. 19f. Hofmann bezieht sich, wie später Busch (1985, S. 14,
Anm. 11) auf einschlägige Äußerungen von Karl Marx und Jacob Burckhardt, die hier wieder-
gegeben seien: »Ist die Anschauung der Natur und der gesellschaftlichen Verhältnisse, die der
griechischen Phantasie zugrunde liegt, möglich mit selfactors und Eisenbahnen und Loco-
motiven und elektrischen Telegraphen? Wo bleibt Vulcan gegen Roberts&Co., Jupiter gegen
den Blitzableiter, und Hermes gegen den Credit Mobilier? Alle Mythologie überwindet und be-
herrscht und gestaltet die Naturkräfte in der Einbildung und durch die Einbildung: verschwin-
det also mit der wirklichen Herrschaft über dieselben [...]« (Marx 1976 [1857], S. 44f.). —

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