Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Blum, Gerd
Hans von Marées: autobiographische Malerei zwischen Mythos und Moderne — München, Berlin, 2005

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14541#0196

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
V. Die Verallgemeinerung persönlicher Themen (1880—1887)

3. Die nachträgliche Anverwandlung dieser Figurenkonstellationen an mytho-
logische und literarische Themen. Diese »latente Remythologisierung«39 40 wird erst-
mals in der schon analysierten Zeichnung Nestor im Lager der Griechen (1875/76;
Abb. 59) greifbar, vollzieht sich jedoch insbesondere im Spätwerk (im Paris-Trip-
tychon [vgl. Abb. 83], im Hesperidentriptychon [Abb. 81], in den Zeichnungs-
gruppen Cheiron und Achill [vgl. Abb. 60 — 63] und Odysseus und Nausikaa).
Diese drei Methoden einer Verallgemeinerung der autobiographischen Ursprün-
ge der >Hesperidenbilder< entwickeln sich zunächst sukzessive, durchdringen sich
jedoch in den späteren Gemälden und insbesondere im Hesperidentriptychon. Sie
werden zunächst im Überblick vorgestellt. Im folgenden Kapitel sollen dann drei
Gemälde, die für diese Modi der intendierten Aufhebung des Privaten im Univer-
salen exemplarisch einstehen können, analysiert werden.
V.4.1. Die Überführung autobiographischer
in typische Figurenkonstellationen
In seinen >Hesperidenbildern< entkleidet Marees die autobiographischen Figuren-
konstellationen aus der Zeit des Bruches mit Hildebrand zunehmend ihrer por-
träthaften Züge. Mit dieser Entindividualisierung verbindet sich eine zunehmende
Typisierung. So entwickelt Marees aus den erörterten Darstellungen des unent-
schlossenen, in sich gefangenen Hildebrand den Typus eines > sinnenden Jüng-
lings<, der in seiner Haltung für Unentschlossenheit und Passivität überhaupt ein-
steht (Drei Männer, Die Lebensalter, Goldenes Zeitalter I). Aus Selbstdarstelhin-
gen als Orangenpflücker in den ersten Adam-Zeichnungen und den Idyllen II ent-
steht der Typus eines Mannes, dessen Habitus Aktivität und erfolgreiches, zielge-
richtetes Handeln verkörpert (Die Lebensalter, Drei Jünglinge [MG 339], Rechter
Seitenflügel des Hesperidentriptychons). Die poträthaften Selbstdarstellungen als
einsamer, resignierter alter Mann etwa in den Vorzeichnungen zu den Lebensaltern
verwandeln sich in den Typus eines >traurigen Altem als Verkörperung von Ein-
samkeit und Trauer (Die Lebensalter, Goldenes Zeitalter II, rechter Seitenflügel
des Hesperidentriptychons) und in denjenigen des greisen, >weisen Lehrers< (Gol-
denes Zeitalter I, Nestor). Die Darstellungen Irene Koppels als >Eva< und > Verfüh-
rerin < in den Zeichnungen aus der Mitte der siebziger Jahre transformiert Marees
in den Typus einer jungen Frau, die weibliche Erotik verkörpert (Die Lebensalter,
Das Urteil des Paris [Abb. 83], Die Hesperiden [Abb. 82]).
Diese exemplarischen Figurentypen eines Jünglings, einer jungen Frau, eines
erwachsenen Mannes, eines Greises sowie von Kindern zeigen, wie bemerkt, ele-
mentare Haltungen und Gebärden (passives Nachdenken, aktives Emporstreben,
39 Boehm 1987, S. 149.
40 »Wenn man das Wesen des Menschen im Allgemeinen erkennt, so wird es umso leichter werden,
die verschiedenen Modificationen zu unterscheiden und zu beurtheilen«. An Fiedler, 29. Janu-
ar 1882; Meier-Graefe 1909-1910, Bd. III, S. 232.

192
 
Annotationen