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Blum, Gerd
Hans von Marées: autobiographische Malerei zwischen Mythos und Moderne — München, Berlin, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.14541#0213

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V.4. Die stufenweise Verallgemeinerung autobiographischer Themen

als auch von Munch122 überlieferten Wunsch, mit ihren den »Lebensaltern« gewid-
meten Bildern ganze Räume auszumalen: Im
»Traum diesen Lebensfriesen eigene Häuser zu bauen, zeigt sich das letzte
Autonomwerden des Themas der Lebensalter [...]. Es wird ausgeweitet zur
Totalität des Lebens schlechthin. Aid der Suche, das Leben zu verstehen
und zu bewältigen, wird der Mensch absolut gesetzt, seine >Freuden und
Leiden< werden sakralisiert«.123
Marees’ »Hesperidenbilder« machen in ihrer Verschmelzung von »Lebensaltern«
und >Goldenem Zeitalter« — um eine Äußerung Hegels aus der Ästhetik nochmals zu
zitieren - zu ihrem neuen »Heiligen den Humanus [...], das Allgemeinmenschliche
in seinen Freuden und Leiden, seinen Bestrebungen, Taten und Schicksalen«.124
Die drei exemplarischen Werkanalysen des folgenden Kapitels werden im Ein-
zelnen zeigen, in welcher Weise Marees die Sujets des »Goldenen Zeitalters« und
der »Lebensalter« aufgreift und ineinander verwebt, um ursprünglich autobiogra-
phische Figurenkonstellationen in seiner Auffassung nach universal gültige Sinn-
bilder der conditio humana zu überführen.125
V.4.3. Die Verwandlung autobiographischer in mythologische Themen
Erst nach Beendigung der Lebensalter (Abb. 78) während des Jahres 1878, in den
im folgenden Jahr konzipierten ersten Fassungen der Triptychen Die Hesperiden
(Abb. 81) und Das Urteil des Paris, beginnt Marees die figürlichen Szenen seiner
»Hesperidenbilder« mit mythologischen Themen zu verbinden, die er allerdings in
eigenwilliger Weise interpretiert. Die Mythen vom Paris-Urteil und den Hespe-
riden waren nicht die Ausgangspunkte seiner bildnerischen Arbeit. Vielmehr ver-
wandelt Marees Gruppierungen von Akten, die er zunächst ohne einen Bezug auf
literarische Stoffe entwickelt hatte, nachträglich diesen mythologischen Sujets
an. Wie das Hesperidentriptychon so gehen auch das Urteil des Paris und die
Zeichnungen mit Themen aus den homerischen Dichtungen — schon früh das er-
örterte Blatt Nestor im Lager der Griechen (Abb. 59) — auf eine »Remythologisie-
rung«126 zunächst autobiographischer Bildfindungen zurück. In dieser bestand für
Mai'ees offenbar die höchste Stufe einer künstlerischen Verallgemeinerung der

symbolische Gestalt zu geben. [...] Solcherart vertieft und mit neuer Tragkraft versehen,
kann das irdische Paradies zum Menschheitsbild werden, kann ihm der Künstler die Frage
anvertrauen, die Gauguin auf eines seiner Bilder geschrieben hat: Woher kommen wir, was
sind wir, wohin gehen wir?.«
121 Fiedler 1991 (1889), Bd. I, S. 261.
122 Barth 1971, S. 184.
123 Ebd., S. 185.
124 Hegel 1955, Bd. 1, S. 581.
125 Dagegen etwa Gerlach-Laxner 1980, S. 146: Das Thema der »Lebensalter« sei bei Marees nur
»inhaltlicher Vorwand für (seine) formale Bildvorstellung.«
126 Boehm 1987, S. 149, vgl. a. Boehm 1983a.

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