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Blum, Gerd
Hans von Marées: autobiographische Malerei zwischen Mythos und Moderne — München, Berlin, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.14541#0274

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VI. Autobiographie und Abstraktion

Gegen die hier vorgelegte Deutung des Bildes als eine Interpretation des Hespe-
ridenmythos ließe sich einwenden, dass der Künstler alle seine Bilder von Akten in
Landschaft »Hesperidenbilder« genannt hat (IV.I.). Nur das Mittelbild des Hes-
peridentriptychons bezieht sich allerdings konkreter auf diesen Mythos. Das zu-
nächst unabhängig von einem mythologischen Sujet entwickelte, autobiographi-
sche Drei-Figuren-Motiv wird nachträglich der Hesperidensage anverwandelt. Die
Formalisierung der Bildwelt und insbesondere der Figuren verhält sich dabei zum
Thema des Gemäldes keineswegs indifferent, sondern bringt es erst hervor.
Im Unterschied zu klassischen Darstellungen des Mythos oder auch zu einer
weiteren Quelle des Gemäldes, zur Primavera Botticellis18', ist für das Verständnis
des Bildes kaum noch ikonographisches Vorwissen erforderlich. Körpersprach-
liche und formale Ausdruckswerte überlagern sich vielmehr in »symbolischen
Akten«188, die den Hesperidenmythos auf moderne Weise vergegenwärtigen. Fried-
rich Rintelen hat dieses Verhältnis von Bildform und Bildgegenstand in einem
prägnanten Satz charakterisiert:
»Wir fassen die Rhythmik von Gestalt zu Gestalt und vor allem den Zu-
sammenklang der Figuren mit dem sich dehnenden Hintergrund auf, aber
was sich in diesem schönen Spiele bewegt, sind nicht Menschen, sondern —
symbolische Akte.«189
VI.4.2.5. Die »Hesperiden« als »Verallgemeinerung« autobiographischer Gehalte
Auch das scheinbar gänzlich »abstrakte« Mittelbild des Hesperidentriptychons
konnte auf Darstellungen von Hildebrand, Irene Koppel und des Künstlers selbst
zurückgeführt werden. Die von Marees angestrebte »Verallgemeinerung« privater
Themen ist in diesem Gemälde eingelöst: Zum einen durch eine Anverwandlung des
zunächst ohne Bezug auf klassische Bildthemen entwickelten, autobiographischen
Drei-Figuren-Motivs an einen antiken Mythos. Zum anderen durch seine in-
tersubjektiv verständliche Veranschaulichung in einer komplexen Durchdringung
körpersprachlicher und formaler Ausdruckswerte. Bei den Hesperiden gehen Ver-
allgemeinerung und Verschlüsselung individueller, »privater« Gehalte wiederum
Hand in Hand.
Retrospektiv erscheinen die Drei Männer und die Lebensalter nicht nur mo-
tivisch und formal, sondern auch insofern als Vorstufen der Hesperiden, als sich
erst in diesem Gemälde das Thema auch ohne biographische Kenntnisse der An-
schauung erschließt, während sich die letzte Pointe der beiden vorhergehenden
Tafeln erst im Wissen um ihre autobiographischen Implikationen und ihre kryp-
spitzter Momente über die vorgegebene Statik des Bildträgers hinweg getäuscht. So exponie-
ren die Hesperidenfiguren ein grundsätzliehes Paradox bildlicher Darstellung.
187 Das Gemälde der Uffizien zeigt tänzerisch bewegte Frauengestalten unter Orangenbäumen,
deren Bewegungen auseinander hervor zu gehen scheinen und kann insofern als ein weiteres
Vorbild des Hesperidentriptychons gelten. Roland Halfen dankt der Verfasser für wertvolle
Hinweise zur Primavera.

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