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Bulletin du Musée National de Varsovie — 5.1964

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No.3-4
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Ruszczyc, Janina: Das Bild der "Beweinung Christi" aus Pułtusk und seine Beziehungen zur Pietà von Michelangelo
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https://doi.org/10.11588/diglit.17159#0093
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ais bei sonstigen Darstellungen dieser Gruppe. Im Vergleich mit der Zeichnung in Boston sind
in unserem Bild die einzelnen Formen weniger plastisch und ausdriicklich. Das Kreuz ist auch
hier fragmentarisch gezeigt und olme Inschrift. Der Unterschied zwischen der Haltung von
Mutter und Sohn, den schon Tolnay und Perrig bemerkt hatten, besteht in unserem Bilde in
noch starkerem Grad. Das gequalte Gesicht der Madonna ist in seinem Ausdruck aussers;
verschieden von dem glatten und ruhigen Gesicht des Sohnes. Von anderen Nachahmungen der
Pieta unterscheidet sieh unser Bild besonders dadurch, dass sich bier die urspriingliche Gruppe
inmitten von vier anderen Teilnehmern der Beweinung befindet. Die Struktur dieser reicheren
Komposition befolgt aber dieselben Gesetze, die die Pieta von Michelangelo be?timmt hatten.
Yorherrschend ist hier die zentrale Achse. Sie wird gedeutet durch den aus der Gruppe Christus —
Maria emporwachsenden Stamm des Kreuzes. Die Engel scheinen inmitten einer Botations-
bewegung um das Kreuz begriffen zu sein. Dieser Achse sind auch die Gestalten der von bei-
den Seiten des Kreuzes sich verneigenden Frauen untergcordnet. Joseph von Arimathia und
Johannes, scheinbar unsymmetrisch hineinkomponiert, sollen die emotionale Seite der Szene
im Gleichgewicht erhalten.

Unser Bild zeichnet sich also aus durch die Vielfaltigkeit seiner Komponenten und die TJber-
legung, mit der sie der Kiinstler gehandhabt hatte. Wenn wir es mit anderen, auf Michel-
angelos Pieta fussenden Darstellungen vergleichen, so scheint es jene in der Logik der Kom-
position zu iibertreffen. Am schlagen/sten ist der Vergleich mit dem Werke von Battista
Franco (Abb. 5). Den Einfluss der Pieta fur Vittoria Colonna entdeckt man auch bei anderen
italienischen Manieristen. Man kónnte hier ein dem Angelo Bronzino zugeschriebenes Bild,
die Beweinung in der Adalbertkirche in Posen, anfiihren (Abb. 6)10.

Ein wichtiges Problem fur den polnischen Kunstforscher bildet die Frage, wie das Bild nach
Pułtusk gekommen und auf welche Weise es mit der Geschichte der Kollegialkirche verbun-
den ist. Sein Aufbewahrungsort ist, wie schon erwahnt wurde, der Altar in der, im 16. Jahr-
hundert von Bischof Andreas Noskowski gestifteten, Kapelle. Der jetzige Altar stammt vom
Anfang des 18. Jahrhunderts. Aus den erhaltenen Visitationsberichten ersieht man, dass an
derselben Stelle ein Altar 1554 geweiht wurde. Erst im Jahre 1775 wird in einem Visitations-
bericht das Thema des Altarbildes erwahnt (Imago Depositionis de Cruce Domini). Der Bischof
Andreas Noskowski ist mehrmals bei seinen Lebzeiten in Drucken genannt worden, aber erst
sein Neffe Jędrzej Święcicki erwahnt in seiner Beschreibung von Masovien (gedruckt 1634)
die vom Bischof gestiftete Kapelle und den Altar.

Die Entstehungszeit des Bildes ist der Zeit der Erbauung (1553 — 54) und der Einweihung
der Kapelle (1554) nahe. Es ist festgestellt worden, dass \urz vor 1560 eine Gruppe von Kunst-
lern bei der Ausmalung der bischoflichen Kapelle beschaftigt war. 1561 Jiess der Bischof sein
Grabmal aufstellen. Die Wandmalereien der Kapelle sind erst 1935 zufallig entdeckt worden.
An der Altarwand hat man ein Jilngstes Gericht gefunden. Man fiłhlt sieh geneigt hier die
Vermutung auszusprechen, dass im 16. Jahrhundert in dieser Kapelle die Pieta an der Al-
tarwand mit Vorbedacht angebracht wurde um sie mit dem Jiingsten Gericht zu einer
einlieiilic".en Kompopition zu verbinden. Das unmittelbar unter der Szene des Jiingsten Geriehtes
im Altar sichtbare Bild der Beweinung sieht wie eine Erganzung von jenem aus. Marias inten-
siv z im Himmel gerichtete Augen, ihre ausgebreiteten Arme finden eine visuelle Begriindung
in der Gerichtsszene. Es ist eine Veranschaulichung der Maria—Fursprecherin, die indem
sie sich auf die Grosse des Opfers beruft, die Gnade des Bichters erhalt. Diese Ubereinstimmung
des Bildes mit der Wandmalerei ist ein wichtiges Argument, dass die Beweinung von ihrem An-
fang an fur diese Kapelle bestimmt war.

Die exponierte Stelle der Jahreszahl am Stamme des Kreuzes, zwingt zu der Annahme, dass
sie von besonderer Bedeutung war. Es ist móglich, dass sie sich auf die grosse Pest bezog, die im

10. J. Eckliardt, „Wioska Pieta z XVI wieku w kościele Św. Wojciecha w Poznaniu", Przegląd Historii Sztuki, I, Kraków, 1929,
H. 4. S. 111 — 5.

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