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Gezina als Künstlerin dieselbe Bezeichnung wie ihr Bruder gebraucht haben könnte, so durfte ich meine
Ansichten nur als Hypothesen aussprechen und konnte sie nur durch Schlüsse, die auf gewagten Ver-
muthungen fussten, zu stützen sachen. Seither ist das Familienalbum der Ter Borchs wieder zum
Vorschein gekommen und 1886 aus dem Nachlasse des Herrn Zebinden in Zwolle durch die Rembrandt-
Gesellschaft für Holland gerettet worden.
Aus dieser Sammlung von 770 Zeichnungen und Stichen, von denen die Mehrzahl Arbeiten
verschiedener Mitglieder der Familie Ter Borch sind, welche vielfach mit Daten und Inschriften versehen
sind, sowie aus Nachforschungen in den Archiven von Zwolle und Deventer, durch J. van Doornick,
gewinnen wir jetzt einen viel tieferen Blick in den künstlerischen Entwicklungsgang und in die
Lebensverhältnisse von Gerard Ter Borch und seiner Verwandten. Dass durch diese Urkunden meine
Hypothesen, zum Theil bis in kleine Details hinein, bestätigt worden sind, war mir in der That keine
kleine Genugthuung.
Von Gerard Ter Borch meint der geistvolle französische Kunstforscher W. Bürger (T. Thore), ob
„apres Rembrandt, on ne devrait pas le mettre tout ä fait hors ligne seul ä son rang comme les
vrais grands hommes". In gewissem Sinne hat Bürger darin nicht Unrecht. Jedenfalls rechtfertigt die
Bedeutung des Künstlers, dass wir das Resultat der neuesten Entdeckungen und Forschungen über
den Meiller kurz zusammenstellen; umsomehr als die Schweriner Galerie nicht weniger als vier Gemälde
seiner Hand aufzuweisen hat, darunter eines seiner Meisterwerke.
Gerard Ter Borch war der Sohn eines Malers, der aber — wie damals so mancher selbst unter
den hervorragenden Künstlern Hollands — zur Gewinnung seines Unterhaltes noch einen Posten als
Beamter versah. Als Steuereinnehmer in Zwolle trat der alte Gerard Ter Borch, der 1584 in Zwolle
geboren war, in die Stellung, die sein Vater schon bekleidete; und kurz vor seinem Ableben (20. April
1662) wusste er diesen Posten seinem jüngeren Sohne Herman zuzuwenden. Den Lehrer des alten Ter
Borch kennen wir nicht. Reisen, die er in den Jahren 1602 bis 1611 nach Deutschland, Italien und Frank-
reich ausführte, galten ebenso sehr der Erlernung fremder Sprachen wie der Vervollkommnung in der
Kunst. Bald nach seiner Rückkehr vermählte er sich in Zwolle mit Anna Lancelotsdr. Byskens aus
Antwerpen. Das erste Kind dieser Ehe ist der berühmte Gerard Ter Borch, der im Jahre 1617 (nicht,
wie man früher annahm, schon 1608) in Zwolle geboren wurde.
Der alte Gerard Ter Borch war ein vorzüglicher Charakter, von strengen Sitten und doch herzlich
und liebevoll; ein guter kleinbürgerlicher Holländer, doch durch seinen langen Aufenthalt im Auslande
von weiterem Blick. Ein Brief an seinen Sohn Gerard, der auf uns gekommen ist, sowie die eigenen
Aufzeichnungen und die seiner Kinder, die in jenem Familienalbum und in einzelnen Familienpapieren
erhalten sind, verrathen fast in jedem Worte ein besonders inniges und gemüthliches Verhältniss zwischen
Vater und Kindern und zwischen den Kindern untereinander. Der alte Gerard Ter Borch sorgte auch für
eine gründliche und vielseitige Erziehung seiner Kinder, deren künstlerischen Unterricht er in den ersten
Jahren selbst leitete. Die Stiche und Zeichnungen von seiner Hand im Album beweisen, dass er vollauf
dazu befähigt war; er zeigt sich darin als ein tüchtiger Künstler in der Richtung von A. Bloemaert,
Lastmann, N. Moeyaert u. a., der, bei aller Manier, doch da, wo er der Natur gegenübersteht, ein gutes
Verständniss und naive Anschauung verräth. Das Talent seines Sohnes Gerard hat der Künstler schon
früh entdeckt; Zeichnungen seiner Hand bewahrte er schon auf, als derselbe erst acht Jahre zählte.
In diesen ersten Zeichnungen aus den Jahren 1625 bis 1627 ist der Knabe natürlich noch ganz abhängig
von der Manier seines Vaters, der ihn jedoch schon damals unmittelbar der Natur gegenüberstellte:
schon 1626 lässt er ihn eine männliche Figur „naer het leven" zeichnen. In dem folgenden Jahre geht
der junge Bursche schon hinaus, zeichnet in den Strassen, auf dem Markte und auf dem Eise und bildet
 
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