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Regel keineswegs so stark; es tritt bei ihnen vielmehr die gleiche Stammesgemeinschaft, die gemeinsame
Vergangenheit in mehr oder weniger starker Weise zur Geltung. Wo daher, wie in Schwerin, die Werke
eines Rubens fehlen und auch seine Schüler nur in wenigen und kleineren Gemälden vertreten lind,
wird der Eindruck der Säle mit den Gemälden der vlämischen Schule nicht wesentlich verschieden
sein von dem Eindruck, welchen die holländischen Säle hervorrufen.
Die Zahl der vlämischen Meister und ihrer Werke, welche die Schweriner Galerie aufzuweisen hat,
ist recht beträchtlich. Dennoch treten dieselben hinter den holländischen Gemälden sehr in den Hinter-
grund. Rubens und sein grosser Schüler, A. van Dyck, fehlen überhaupt; die Copien nach Gemälden
ihrer Hand, welche in der Sammlung aufgestellt sind, verdienen keine besondere Erwähnung. Auch
von andern Rubens-Schülern sind nur wenige und nicht bedeutende Werke vorhanden. So von Erasmus
Quellinus „Die Verlobung der heiligen Katharina" (Nr. 851), eine Composition mit kleinen Figuren,
von feiner Färbung und ausgebildetem Helldunkel, aber unbedeutend und affedsirt in der Auffassung.
Dasselbe gilt von zwei ähnlichen Compositionen des Theodoor van Tulden, die „Findung Mosis" und
„Begrüssung Davids" (Nr. 1043 und io44), die lieh in Ton und Färbung den hellen, blonden Gemälden
aus Rubens' letzter Zeit anschliessen. Ein dritter Schüler oder Nachfolger von Rubens ist noch in der
Sammlung unter dem Namen des Guilliam van Herp aufgeführt. Das Monogramm, welches auf dem
Bilde „Jesus, Martha und Maria" (Nr. 478) angebracht ist, ist schwer zu entziffern, stimmt aber mit der
seltenen Bezeichnung des van Herp nicht überein. Auch passt die nüchterne Composition, die kleinliche
Behandlung wenig zu diesern eigenartigen und begabten Künstler. Der Maler dieses Bildes sleht viel-
mehr dem Simon de Vos nahe und lehnt sich weit enger und ängstlicher an Vorbilder von Rubens an,
als es bei van Herp der Fall ist.
Auch Jacob Jordaens ist in der Schweriner Galerie zwar durch ein sehr charakteristisches, aber
wenig glückliches Bild vertreten. Die „Nächtliche Erscheinung" (Nr. 547) soll vielleicht ein biblisches
oder historisches Motiv (sie ist ganz ähnlich aufgefasst, wie die Candaules-Darstellung in der Galerie
von Stockholm) wiedergeben; durch die Auffassung ist dasselbe aber nichts mehr als eine recht vulgäre
und als solche sich mit der ganzen brutalen Lebenswahrheit von Jordaens aufdrängende Darslellung
eines wüsten Traumes.
Diese derbe und gelegentlich selbst schlüpfrige Auffassung von J. Jordaens erscheint uns heute
schwer vereinbar mit einem überzeugungstreuen, eifrigen Anhänger des strengen Calvinismus, zu dem
sich Jordaens offen bekannte, zu einer Zeit, als in Antwerpen der Abfall vom Katholicismus noch mit
Todesstrafe bedroht war. Aber Jordaens war ein echtes Kind seines Landes und seiner Zeit, ein
Vlame durch und durch; und die Zeit des dreissigjährigen Krieges hatte für das Wohlansländige einen
anderen Massstab als unsere prüde Zeit. Dafür ist uns das Leben, sind uns die Werke von Jordaens'
Landsmann Adriaen Brouwer das lebendigste Zeugniss. Schon als Mensch ist Brouwer vom höchsten
psychologischen Interesse; jeder Zoll ein Künstler, ein malerisches Genie, das neben Velazquez, Rem-
brandt und Tizian genannt zu werden verdient, aber durch einen unwiderstehlichen zigeunerhaften
Zug in seiner Natur ein unverbesserlicher Abenteurer. Er taucht plötzlich auf, Niemand weiss woher,
und verschwindet ebenso unvermuthet, Niemand weiss wohin. Er tritt in's Leben ein, indem er, noch ein
halber Junge, seinen Eltern davonläuft; kaum zum Manne gereift, wird er aus dem Leben abgerufen,
ebenso plötzlich und gewaltsam: der Tod ereilt ihn in einer Kneipe und sein Körper wird mit den
Leichen von Bettlern in ein Loch zusammengeworfen.
Ein Adonis in Lumpen, ein Philosoph unter der Narrenkappe, ein Epikuräer in cynischer Form,
ein Communist ganz eigener Art, welcher das Seine jedem zum Mitgenuss zur Verfügung stellt, ein
 
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