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Braun, Joseph
Praktische Paramentenkunde — Freiburg i. Br., 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2048#0115
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Sechstes Kapitel.

stellt man sie in Vollstickerei, Ausspar-
stickerei oder Mosaikstickerei her. "Verwendet
man grobes Linnen oder feinen Kanevas als Stick-
grund, dann muß nicht bloß das Muster, sondern auch
der Grund ausgestickt werden. Man benützt dazu am
besten den Gobelinstich oder den Köperstich.
Die Besätze wirken nur dann, wenn sich Grund
und Muster hinreichend voneinander ab-
heben. Wo solches nicht der Fall ist, sehen sie
matt aus. Man muß daher für Grund und Muster
entschiedene, gut kontrastierende Farbentöne nehmen.

Bei Teppichen führt man geometrische Muster
im Kreuzstich aus.

b) Die vegetabilischen Muster sind dreifacher
Art: Phantasiegebilde mit geringer Anlehnung
an wirkliche Pflanzenformen, naturalistische
Pflanzenmuster und stilisierte Pflanzen-
muster.

Zur ersten Art gehören die in tausenderlei Varia-
tionen und Formen auftretenden romanischen
Pflanzenornamente (s. Tafel III, Bild 7 b), eine Umbildung
des klassisch römischen Akanthus und der Palmette,
die Arabesken, denen wir auf den aus arabischen
Werkstätten stammenden Stickereien immer wieder
begegnen, das Ranken- und Blattwerk, das wir
auf mittelalterlichen griechischen Stickereien
antreffen und namentlich das teils für sich allein,
teils in Verbindung mit verschlungenen und ver-
schnörkelten Bändern und Riemen vorkommende
Pflanzenornament der Frührenaissance und des
Barocks (s. Tafel IV, Bild 2).

Naturalistische Pflanzenmuster, d. i. Wieder-
gabe von Pflanzen und Blumen, wie Feld und Wald
dieselben zeitigen, tauchten erst gegen Ende des
17. Jahrhunderts auf den Paramenten auf und
erlangten unter der Herrschaft des Rokoko bald
größte Beliebtheit.

Die stilisierten vegetabilischen Muster waren vor
allem der Gotik eigen (s. Tafel I, Bild 3 und Tafel I,
Bild 4), sie kommen aber auch in andern Stilen, z. B. der
Renaissance vor. Sie geben wirkliche Pflanzengebilde
wieder, doch nicht in der Freiheit und Ungebundenheit,
wie dieselben sich draußen in Gottes Natur finden,
sondern unter Beibehaltung alles Wesentlichen in be-
stimmte, feste, regelmäßige Formen gebracht.

Von den in dieser Weise stilistisch umgebildeten
Pflanzenmotiven begegnen uns auf mittelalterlichen
Paramentenstickereien am häufigsten die Rose, die
Lilie, das Eichenlaub, die Distel und die
Weinrebe.

Daß man, wie man so oft gesagt hat, in allen
Fällen mit derartigen Gebilden eine Symbolik ver-
bunden habe, ist unzutreffend; immerhin kann nicht
bezweifelt werden, daß man in manchen dieser Mo-
tive nicht lediglich Schmuckformen gesehen, sondern

in Anlehnung an Äußerungen der Heiligen Schrift oder
mystische Deutungen der Theologen mit ihnen auch eine
symbolische Bedeutung verknüpft hat. Ein in neuester
Zeit mit Recht sehr beliebt gewordenes Pflanzenmuster
ist die stilistisch umgeformte Passionsblume.

Von den drei Klassen der vegetabilischen Sclimuck-
gebilde gehören nur die erste und dritte, kaum
die zweite auf Paramente. Welcher man im ein-
zelnen Falle den Vorzug zu geben hat, hängt vom
Stil ab, in dem die Stickerei ausgeführt werden soll.
Soll dieselbe einen romanischen Charakter haben, so
wird man sich an die erste Klasse zu halten haben;
umgekehrt wird man Pflanzenmuster, die auf gotisch
stilisierten Stickereien Verwendung finden sollen, der
dritten Klasse entnehmen, und zwar wird man dabei
möglichst solchen den Vorzug geben, mit denen sich
eine allgemein bekannte Symbolik verbindet.

Die vegetabilischen Muster können auf jedem
Stoff, in jeder Technik und in allen Stick-
weisen ausgeführt werden. Für Kreuzstich-
stickereien eignen sie sich allerdings nur dann,
wenn das Muster, wie auf Teppichen, sehr groß
gehalten ist, oder wenn der Stickgrund im Ver-
hältnis zum Muster sehr fein ist. Für die in Kreuz-
stich auf Kanevas hergestellten Rot- und Buntsticke-
reien passen nur in strenge, fast geometrische Formen
gebannte vegetabilische Phantasiegebilde (s. Tafel V,
Bild 2 a u. b), nicht aber bloß stilisierte Motive.

c) Auch die animalen oder Tiermuster lassen
sich in drei Klassen scheiden, je nachdem sie nämlich
aus rein phantastischen Gebilden bestehen,
wie z. B. Drachen, Greifen, Chimären, Sirenen und
ähnlichem, oder die Tiere so wiedergeben, wie die-
selben in Wirklichkeit vor uns stehen oder endlich
stilisierte Umformungen wirklich existierender
Tiere darstellen.

Streng naturalistisch ausgeführte Tiere kommen
auf den Paramentenstickereien erst in der Zeit der
späten Renaissance und des Rokoko vor. Die beiden
andern Arten von Tiermustern begegnen uns in allen
Stilen auf den Paramenten, dem romanischen (s. Tafel I,
Bild 2), dem gotischen und dem Renaissancestil.

Einen symbolischen Charakter hatten auch
die Tiergebilde nur in beschränktem Maße. Vielfach
waren sie bloße Dekoration. Heute kommen auf den
Paramentenstickereien kaum noch andere als sinn-
bildliche Tierdarstellungen zur Verwendung, wie: das
Lamm, der Pelikan, der Phönix, der Löwe
und der Adler als Symbole des Heilandes; die Taube
als Sinnbild des Heiligen Geistes; das Einhorn als
Bild der Jungfräulichkeit Marias; der Löwe, der
Adler und das Rind als Symbole der Evangelisten;
der Hirsch als Abbild der nach der Vereinigung mit
Gott lechzenden Seele; Drachen und Schlangen
als Sinnbilder der, höllischen Mächte u. a.
 
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