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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 3): Centrales Nervensystem — Berlin, Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.15176#0198
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Die Großhirnrinde als Integrationsort.

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zur bewußten, beabsichtigten Bewegung zum Gyrus parecentralis und zu den
Ursprungsgebieten der frontalen Brückenbahn und der frontalen cortico-thalami-
schen Bahn geführt. Mit dem beidseitigen Verlust des Begriffscentrums" im
Stirnhirn (vgl. S. 189) hört die Fähigkeit zur gedanklichen Ordnung der Tast-
wahrnehmungen zu Begriffen, die Umsetzung in zielbewußte Handlung auf.

Diese kurze, sehr unvollständige Analyse des im Pallium gegebenen Getriebes
für die Tastwahrnehmungen und daran anschließende Handlungen ergibt also
im groben folgende Reihe von hintereinander geschalteten Rindengebieten,
deren jedes für einen Teil des ganzen Vorganges unentbehrlich ist: 1. Centrum,
Tastsphäre im vorderen Gebiet des Gyrus centralis posterior: Tastempfindung
überhaupt; Verbindung zur motorischen Rinde im Gyrus centralis anterior: Be-
wegungen zur Vermehrung der Tastempfindungen von dem getasteten Etwas;
2. Centrum, Centrum der Stereognose, hauptsächlich im Gyrus centralis posterior:
TastWahrnehmung, Erkennen des Etwas als Schlüssel; zugleich: 2a) Centrum
für räumliche Beziehungen, vordere Centraiwindung: das Etwas berührt den
Zeigefinger, nicht Nase oder Zehe oder Daumen; 2b) Centrum für die Intensität
sensibler Reize, Scheitellappen einschließlich Operculum parietale der Insel: das
Etwas berührt nur leise, nicht stark; 3. Centrum für Begriff und bewußte Hand-
lung, Stirnhirn: Einordnung der Tastwahrnehmung „Schlüssel" in den auf
optischen, akustischen und Tasterfahrungen gegründeten allgemeinen Begriff
Schlüssel, Erhebung der Wahrnehmung zum Bewußtseinsinhalt und Umsetzung
dieses Bewußtseinsinhaltes in ziel,,bewußte" Handlung. —■ Die unter 1. und 2.
genannten Centren bilden die „Körperfühlsphäre".

Diese Kette hintereinandergefügter „Centren", von denen das folgende
jeweils eine höhere Punktion vollzieht als das voranstehende, wobei jedes für
seine besondere Punktion unentbehrlich und durch kein anderes ersetzbar ist,
wobei jedes Glied der Kette die richtige Tätigkeit der vorangehenden zur Vor-
aussetzung hat, diese Kette ist für jede der drei großen Sinnesleitungen gegeben,
für die optische und akustische wie für die Tastleitung. In ähnlicher, wenngleich
weniger vollkommener Art muß sie auch für Temperatur-, Schmerz- und
Geschmackswahrnehmungen vorhanden sein, nur ist nicht genauer bekannt,
welche Gebiete der Rinde diesen „Centren" entsprechen. Hingegen hat für die
optischen und akustischen Centren diese Lokalisation genau durchgeführt
werden können.

Das 1. optische Rindencentrum ist identisch mit der Sehsphäre, der Area Seh-und
striata am Sulcus calcarinus. Das 2. Centrum, das der optischen Erinnerungs- centren
bilder, liegt an der Konvexität des Hinterhauptslappens und ist durch Tangential-
fasern der Rinde mit dem ersten verbunden.

Das 1. akustische Centrum liegt in der HESCHLschen Windung des Temporal-
lappens, das 2., das der Klangerinnerungsbilder, in dem Gyrus temporalis
superior an der Konvexität. Das 3. Centrum ist das Begriffscentrum im Stirn-
hirn wie auch für optische und Tastwahrnehmungen.

Eine weit größere Zahl von Centren weist die phylogenetisch jüngste und Sprai-h-
ganz spezifisch menschliche Funktion auf, die Sprache. Sie zeigt zugleich,
wie die Hirnrinde trotz der Gliederung in Einzelcentren immer als harmonische
Einheit tätig ist.

Das Kind, das bisher nur Laute von sich zu geben vermochte, lernt zunächst
einzelne vorgesprochene Silben nachzuahmen, dann zwei gleiche Silben hinter-
einander (ma-ma), dann andere Silben mit anderen Konsonanten und Vokalen.
Allmählich lernt es nachzu,,sprechen", d. h. es lernt diejenigen besonderen
Bewegungsimpulse an die motorischen Zellen der Atem-, Lippen-, Kau-, Zungen-,
Gaumen- usw. Muskeln zu geben, die alle diese Muskeln unabhängig von ihren
sonstigen Leistungen bei der Nahrungsaufnahme usw. zu der besonderen
 
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