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Buchner, Ernst; Jantzen, Hans [Gefeierte Pers.]
Das deutsche Bildnis der Spätgotik und der frühen Dürerzeit: [Hans Jantzen zum 70. Geburtstag] — Berlin, 1953

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https://doi.org/10.11588/diglit.31127#0177
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Die seltene Tafel wurde mit Recht nach Schwaben — und zwar nach Ulm gesetzt, allerdings meist zu
spät datiert. Mit Zeitblom, der erst 1482 die Ulmer Malergerechtigkeit erwirbt, hat der eine Generation
ältere und aus ganz anderem, festerem Holz geschnitzte Meister nichts zu tun. Auch nicht mit dem sich
sehr bestimmt von Ulmer Art absetzenden „Meister der Kemptner Kreuzigung“, dessen modisch geklei-
deterVeit auf der StuttgarterHeiligentafel 1 nur eine vage, kostümbedingte Verwandschaft mit unserem
Kavalier zeigt. Auch die Stilisierung des blumigen Angers ist dort viel strenger, herber, „dekorativer“.
Dagegen stammt der heilige Georg der ehemaligen Sammlung Holford 2 (Textabb. 44), der mir 1936
aus dem Schweizer Handel vorgelegt wurde, ohne Zweifel von der Hand des „Verlöbnis-Meisters“. Er
gehört in den engen Kreis und die unmittelbare Nachfolge des Meisters der Sterzinger Flügel. Der Ge-
sichtsschnitt des jungen Heiligen gemahnt an das Antlitz der „Verlobten“, die kurzfingerigen Hände sind
ähnlich geformt und enerviert, die eigentümliche, unregelmäßige Maserung des Steinbodens kommt auf
dem Totenpaar sehr verwandt vor. Die Verlöbnis-Tafel ist vergleichsweise früh, sicher noch im siebten
Jahrzehnt des Jahrhunderts entstanden.

Aus dem gleichen Geist sind die Leben und Tod symbolisierenden Flügel des Nürnberger Altärchens des
„Jüngsten Gerichts“ (Germ. Nat. Mus. Abb. Katalog 231,232) 3 entstanden, nur fehlt dort demToten, der
in die absterbende, melancholisch stimmende Natur gebettet ist, das unheimlich Agressive. Da das Nürn-
berger Paar sicher nicht als Porträt „gemeint“ ist, mußte ich mir die Aufnahme der Flügel in das Cor-
pus versagen.

197. MEISTER DER AACHENER SCHRANKTÜREN, Hochzeitsbildnis.

Im Aloysiuskolleg zu Godesberg wird als alter Besitz eine Madonnentafel bewahrt, die dem frühen
Bartholomäus Bruyn zugewiesen werden darf. Ihre Kenntnis verdanke ich Pater Eduard Syndikus, der
die Tafel und ihre Geheimnisse in dem in Druck befindlichen Heft der Zeitschrift für Kunstwissenschaft
veröffentlicht. Auf der Rückseite der Eichentafel saß eine etwa vierzig Jahre ältere Malerei: Zwei grin-
sende, in Verwesung übergegangene Tote mit Sense, Armbrust und Spaten durchschreiten bzw. durch-
tanzen eine flache Kuppenlandschaft (Textabb. 46). Da die Farbträger (Holz- und Kreidegrund) brüchig
geworden waren, wurde das Malbrett von Konservator Goldkuhle (Bonn), dem versierten Spezialisten
für die Entholzung krank gewordener Bildtafeln, gespalten; eine Art Kaiserschnitt, um die gefährdeten
Farbflächen zu retten. Nach der behutsamen Entfernung des Holzes und der Kreideunterlage kamen —
natürlich im Spiegelbild — die reinen, ursprünglichen Farbschichten zuTage. Auf der abgespaltenen Rück-
seite erschien, wie erwartet, das Spiegelbild der beiden lebenden Leichname, auf der abgetrennten Vor-
derseite aber, nicht, wie erwartet, das Spiegelbild derMadonna, sondern ein um 1470 gemaltes Hochzeits-
bildnis (Abb. 196), das sich sofort als später, niederdeutscher Reflex der berühmten „Hochzeit des Ar-
nolfini“ von Jan Eyck auswies. Auf dieses Hochzeitsporträt hat der frühe Barthel Bruyn etwa 40 Jahre
später eine Mutter-Gottes mit kniendem Stifter gemalt und damit ganz gegen seine Absicht das als
Malgrund benützte Gemälde, däs sonst wie jedenfalls ungezählte, ähnliche Vermählungsbilder zu Grunde
gegangen wäre, durch die Jahrhunderte gerettet.

1 £. Buchner, Zur Kemptner Malerei der Spätgotik, Das schwäbische Museum, 1925, S. 161, Abb. 2.

2 The Holford Collection, Westonbirt, Katalog, 1924, Nr. 20, Plate XXVIII, “Zeitblom of Ulm“.

3 Wo der bedeutende, niederländisch geschulte Meister der Nürnberger Flügel seine Werkstatt aufgeschlagen hatte, ist
immer noch nicht klar herausgestellt. Das von andrer Hand stammende Mittelstück weist auf Allgäu - Oberschwaben.
Kürzlich ist in deutschem Privatbesitz ein Altärchen (jüngstes Gericht) aufgetaucht, das den beiden Flügeln unmittelbar
nahesteht und sicher der gleichen Werkstatt entstammt.

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