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Kunst als Chorographie 153

und Deiner Gelehrsamkeit schicke, damit Du sie mir mit deutlicheren Buch-
staben beschreibst.«110

Die Darstellung des »dunklen Fisches«, deren Beischrift Münster abge-
schnitten und an ihren Autor zurückgesandt hatte, war sicherlich als wissen-
schaftliche Illustration gemeint. Das Fehlen einer Beschriftung ist also - für sich
genommen - kein Indiz dafür, daß eine Zeichnung nicht als naturwissen-
schaftliches Anschauungsobjekt gedient hat.

Als Beispiel dafür läßt sich auch eine Zeichnung von der Hand Roelandt Sa-
verys anführen, die einen Wasserfall im Gebirge zeigt (Abb. 38).'" Das Blatt weist
keinerlei Beischrift oder Beschriftung auf. Die steil aufragenden Klippen, über
die das Wasser in zwei Kaskaden zu Tal rauscht, legen den Schluß nahe, daß hier
Hochgebirge gezeigt wird. Der links im Bild gezeigte kleine Zeichner mag als
Ausweis der Tatsache gelesen werden, daß die Aufnahme nach der Natur ent-
stand. Darüber jedoch, ob es sich bei der Ansicht des Wasserfalls um eine Ve-
dute oder um eine erfundene Landschaft handelt, sagt dieses Bildmotiv nichts
aus. In ihrer kompositorischen Anlage, der kulissenhaften Staffelung der Bild-
gründe, steht Saverys Zeichnung in der Tradition Bruegels."2 Es läßt sich auf
den ersten Blick nicht entscheiden, ob Saverys Zeichnung als künstlerische In-
vention oder als topographische Illustration gesehen werden muß.

Einen ersten Hinweis darauf, daß es sich bei diesem Blatt um eine topogra-
phisch intendierte Vedute handelt, liefert die Tatsache, daß Saverys Zeichnung
noch heute in einem Weltatlas klebt, den im 17. Jahrhundert der Amsterdamer
Jurist Laurens van der Hern (1621 -1678) zusammengestellt hat.113 Van der Hern
hatte um das Jahr 1645 begonnen, Karten und topographische Zeichnungen zu
sammeln."4 Im Jahre 1663 erwarb er ein Exemplar der lateinischen Ausgabe
von Joan Blaeus (1596-1673) »Atlas Maior«, der mit 600 Karten größten und
zugleich teuersten Kartensammlung seiner Zeit.''5 Dieser elfbändige Atlas wur-
de zur Grundlage der weiteren Sammelbemühungen van der Hems:"6 Mehr als
1800 Karten, Stadtansichten, Landschafts- und Portraitzeichnungen trug er zu-
sammen und ordnete sie nach und nach in seinen Atlas ein.117 Bei seinem To-
de umfaßte dieses gewaltige Sammelwerk 46 Bände mit annähernd 2500 Land-
karten, Ansichten und Bildern von Flora und Fauna."8 Darunter war, neben
einigen anderen Zeichnungen Saverys, auch der Wasserfall im Gebirge, der van
der Hern als Illustration für die Bergwelt der Alpen gedient hatte."9

Man könnte geneigt sein, es der Pietätlosigkeit eines geographiebesessenen
Holländers des 17. Jahrhunderts zuzuschreiben, daß Saverys Zeichnungen als
Kunstwerke mißachtet und als topographische Illustration in einen Atlas ein-
geklebt wurden, wenn man nicht wüßte, daß Savery von Rudolf II. nach Tirol
gesandt wurde, um »der Natur seltsame Wunder mehr zu erkundigen«. Erst der
von Joachim von Sandrart kolportierte Kontext der Auftragsvergabe legt den
Schluß nahe, daß Saverys Zeichnung tatsächlich schon zum Zeitpunkt ihrer Ent-
 
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