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Burger, Fritz; Hodler, Ferdinand [Oth.]; Cézanne, Paul [Oth.]
Cézanne und Hodler: Einführung in die Probleme der Malerei der Gegenwart (Band 1): [Textbd.] — München, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.31295#0159
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Die neue Kunst 151

sitz von Gotteshand zur Seite gegeben scheint, wird £ür uns ein hohes Ideal.
Indem wir aber nützen, was wir nicht besitzen, lernen wir jenen Besitz in sei*
ner ganzen Größe erkennen, wir Fremden im Lande der Kindheit. Der Fort*
schritt der Wissenschaft mag auch für unsere Kultur Schicksal geworden sein.
Sie besitzt gerade deshalb eine Überfülle tragischer und dramatischer Span*
nungen und neuer Ideen.

Die neue Kunst will keinen Gegensatz von Diesseits und Jenseits, kei*
nen von Mensch und Natur oder Mensch und Tier. Die Grenzen der Ge*
schlechter verwischen sich, um einem Menschheitsideal jenseits aller Ge-
schlechtlichkeit Platz zu machen, das das Absolute der menschlichen Natur
und in ihm die Ewigkeit umfaßt. Man sucht weder den Typus der Gattung
noch den der Gottheit, sondern das Absolute, die alles einigende Urwesem
heit in den Dingen, der das Tier nicht ferner steht als der Mensch, der beide
wie einem unsichtbaren Lebenspol zustreben. Phosphoreszierende Farben,
leuchtende Wunder, das Auge der Ewigkeit, nicht das Auge der Gestalt!
(Nolde Campendonk, Marc). Im Blick des Tieres, im Denken des Kindes,
im Tun der Wilden sieht die moderne Zeit ein Stück jener wunderbaren, ver*
lorenen Urwesenheit, der diese näher stehen als edle Menschlichkeit. Man
fühlt den Zerfall der Kräfte durch die Kultur und bestaunt das Wunder der
animalischen Urkraft, die keine Zwiespältigkeit in ihrer robusten Größe kennt,
und jene paradiesische Einheit besitzt, die Seele und Sinne zugleich suchen.

Was die moderne Kunst und Wissenschaft vorwärts treibt, ist eben die
Liebe zum All, zum Ganzen, mit einer Stärke wie wohl kaum jemals zuvor.
Aber der uralte Gegensatz bleibt auch für die Moderne bestehen: die einen
suchen das Wunder der Ewigkeit rein in der Gestaltung, wie Cezanne, Flod*
ler und Picasso, die überwiegende Mehrzahl ihrer Nachfolger aber in der Ge«
stalt. Die Kunst beginnt durch eine sinnliche Symbolik zu illustrieren. Mag
sein, daß hier die Grenzen der Kunst überschritten werden; es ist das ein mo?
dernes Charakteristikum für j edes T eilgebiet menschlicher Erkenntnis, ein Symp«
tom für das starke Einheitsbedürfnis unserer Zeit. Wer will heuterichtend sagen,
wo die Grenze ist, die in diesem Reiche der Mystik eingehalten werden muß, wo
sie doch die Grenze negiert. Und schließlich ist Sterben Schicksal. Aber das me-
mento mori ist immer zugleich ein memento vivere gewesen, und wäre es auch
nicht so, so dürften wir uns mit F. Schlegels prophetischem Worte trösten:

»Wirst leben wie wenige, wirst an der Ewigkeit sterben.«

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