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Busch, Werner
Die notwendige Arabeske: Wirklichkeitsaneignung und Stilisierung in der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.52657#0018
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noch nicht11. Hier muß es genügen, daß einige wenige Bereiche hervorgehoben werden, in
denen sich der Prozeß besonders deutlich zeigt. Insgesamt kann man das Ende der Ikono-
graphie als einen umfassenden Säkularisierungsprozeß begreifen. Die Säkularisierung
biblischer Themen in Literatur und Kunst sei beispielhaft aufgezeigt, der Verlust des Attri-
butes in der klassizistischen Theorie, ferner der Verlust der Verweisungskraft des Bildes,
des Symbols, des Zeichens durch fortschreitende naturwissenschaftliche Erkenntnisse,
schließlich der unter dem fixierenden Blick des Romantikers sich vollziehende und von
Hegel so eindringlich beklagte Bedeutungsverlust des Einzelgegenstandes.

11 Hermann Beenken, Das neunzehnte Jahrhundert in der deutschen Kunst, München 1944, S. 33,
35,268,382,520; Werner Hofmann, Das irdische Paradies, München 1974, S. 19,256f., 259; das 19.
Jahrhundert selbst hat das Problem aus einem Gefühl der Peinlichkeit heraus präzise benannt
und zumeist an der Frage der Mode abgehandelt. Vischer, op. cit. (Anm. 10), S. 29-30: »Diesen
Zwang gegen das Zeitbewußtsein, diese Absichtlichkeit sollte man dem Bilde nicht anfühlen?
Nein, eure Madonnen sind nicht Madonnen der alten Kirche; sie haben in den Stunden der
Andacht gelesen, sie sind in einer Pension, in einer Töchterschule aufgewachsen, ein Jährchen
wenigstens, ja sie trinken Tee, wenig, aber etwas Aber wie frevle ich! Das Bild ist doch so
schön! Und ich habe doch recht; eine Madonna ist für uns eine Unmöglichkeit«. - Karl Marx, Ein-
leitung zu den »Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie« (1857), in: ders., Ökonomische
Manuskripte 1857/58, Text, Teil 1 (=Karl Marx-Friedrich Engels Gesamtausgabe (MEGA),
Zweite Abteilung, Band 1), Berlin 1976, S. 44f: »Ist die Anschauung der Natur und
der gesellschaftlichen Verhältnisse, die der griechischen Phantasie zugrunde liegt, möglich mit
selfactors und Eisenbahnen und Locomotiven und elektrischen Telegraphen? [Marx mag sich hier
an F. Th. Vischer erinnern: »Wer zwischen Eisenbahnen und Dampfschiffen noch der Madonna
räuchern will, dem wollen wir seinen Frieden nicht stören« (ders., Zustand der jetzigen Malerei
(1842), in: ders., op. cit. (Anm. 3), S. 60)] Wo bleibt Vulcan gegen Roberts & Co., Jupiter gegen den
Blitzableiter, und Hermes gegen den Credit Mobilier? Alle Mythologie überwindet und
beherrscht und gestaltet die Naturkräfte in der Einbildung und durch die Einbildung: verschwin-
det also mit der wirklichen Herrschaft über dieselben. Was wird aus der Fama neben Printing-
house square. .. .Von einer andren Seite ist Achilles möglich mit Pulver und Blei? Oder überhaupt
die Iliade mit der Druckerpresse, und gar Druckmaschine? Hört das Singen und Sagen und die
Muse mit dem Preßbengel nicht nothwendig auf, also verschwinden nicht nothwendige Bedin-
gungen der epischen Poesie?« - Jakob Burckhardt, Die Allegorie in den Künsten (1887), in: ders.,
Vorträge, hrsg. von Emil Dürr (= Jakob Burckhardt, Gesamtausgabe, 14. Bd.), Berlin und Leipzig
1933, S. 424: »Ferner wird bisweilen eine plastische Profusion an unrechter Stelle geübt. Börsen
zum Beispiel mögen notwendige Atmungsorgane des modernen Lebens sein und sollen in der
Mitte des Luxusquartiers einer großen Stadt eine reiche bauliche Physiognomie erhalten. Es hat
aber keinen Sinn mehr, wenn an der Börse von Brüssel schon die Podeste der Vortreppe mit gro-
ßen Gruppen, Löwen von Genien gelenkt, beginnen. Die eigentlichen Abstracta wären auf einer
Börse die Gestalten der Hausse und Baisse, und diese könnte man ja auf dem Giebel eines solchen
Gebäudes auf einem ehernen Wagebalken und vom Winde beweglich anbringen, weiterer Alle-
gorien, wozu der Ort einladen würde, nicht zu gedenken, zum Beispiel der Dämonen des Kra-
ches«. - Burckhardt hat übrigens die Börsendämonen nicht erfunden, sondern sie ganz offensicht-
lich aus dem »Neuen Freien Kikeriki«, Jg. IV, Nr. 20,17. Mai 1873 entlehnt. Dort findet sich eine
Karikatur auf Kaulbachs »Zerstörtes Jerusalem«. Hier gibt es Propheten der Börse, die Engel der
Offenbarung mit miserablen Kurszetteln, den verlassenen Altar der Hausse, schließlich drei
geflügelte Börsendämonen und den Börsenkrach selbst, s. Hans Müller, Wilhelm Kaulbach,
Erster Band, Berlin 1893, S. 406f. Die Feststellung, daß die Mode Ikonographie und Mythologie,

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