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Trendelenburg, Adolf
Programm zum Winckelmannsfeste der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin (Band 70): Phantasiai — Berlin, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.2163#0008
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II. 4>avraaiai in der Plastik

Es ist vielleicht nicht Zufall, daß die versprengte Notiz von den Phantasien Theons
Gemälde betrifft. Er ist aber unter den Malern keineswegs der erste, der es wagte, den
Beschauer etwas erraten zu lassen. Schon Mikon malte von seinem Butes nichts als Helm und
Auge und überließ dem Beschauer, alles übrige sich durch den Berg versteckt zu denken.
Diese Kühnheit hat in dem Sprüchworte eärrov f\ Bou-rnc; ihren Niederschlag gefunden, aus dem
man ersieftt, daß die Leute sich damit als etwas Ungewöhnlichem beschäftigten. In einem
Gemälde etwas nur angedeutet zu finden, konnte überraschen, weil die Mittel der Malerei
derart sind, daß sie leichte Ausführung auch nebensächlicher Dinge gestatten. Bei plasti-
schen Werken lag die Sache anders. Material und Schwierigkeit der Ausführung zwangen
hier zur Beschränkung auf das unbedingt Notwendige. Darum begegnen uns hier Phanta-
sien im Sinne Theons früh, ohne daß sie in der Literatur besondere Beachtung gefunden
haben 7).

Die Gruppe der Tyrannenmörder (Abb. 2) besteht aus den beiden Freunden, die, das
Schwert zum Schlag und Stoß in der Hand, geschlossen zum Angriff vorgehen. Ein Gegner
ist nicht vorhanden. Ist die Gruppe darum unverständlich? Hat jemals ein Beschauer den
Hipparch vermißt? Ja, d ur f t e er dargestellt sein? Gewiß nicht. Einmal hätte er die
Aufmerksamkeit von der Hauptgruppe abgelenkt, und zweitens wäre er der gleichen Ehre
teilhaftig geworden, wie seine Mörder, im Bilde verewigt zu werden. Der Bildhauer durfte
ohne Gefahr, mißverstanden zu werden, einen wesentlichen Teil seiner Komposition opfern,

7) Unfern der Heroa der Hippokoontiden in Sparta sah Pausanias in einem Heiligtume des Herakles
eine bewaffnete Statue des Halbgottes. Angeblich wegen des Kampfes mit Hippokoon und seinen Söhnen hat
man der Figur die Stellung gegeben, sagt Pausanias III15,3, ohne weiteres über die fehlenden Gegner hinzuzu-
setzen. Einzelstatuen in Kampfstellung, die niemals mit einem Gegner gruppiert gewesen sein können, sind
mehrfach erhalten. Die bekannteste darunter ist der Fechter Borghese (Abb. 1), erschöpfend gewürdigt bei
Friedrichs-Wolters Nr. 1425. Die Unterdrückung von notwendig scheinendem Beiwerk geht hier noch weiter als
in Theons Hopliten: der Statue fehlen Schwertriemen, Helm, Panzer und Schild. Es kommt dem Künstler
eben lediglich auf vollendete Durchbildung des Körperlichen an, und zwar bei einer Stellung, die in An-
spannung aller Glieder bis an die Grenze des Möglichen geht.
 
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