Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
115

dells gegangen; die riesige Luthergestalt sammt der Figur des zu seinen Füßen
sitzenden Wiclef hatte er fertig, an Weiteres war die bildende Hand gelegt,
da lähmte ein zu früher Tod sie am 21. Febr. 1861, am Vorabend des Tages,
wo die beiden Modelle vor dem Guß öffentlich ausgestellt werden sollten. Kurz
vor seinem Ende hatte er beide Statuen aus seiner Werkstätte in den Garten
bringen lassen, um vom Fenster seiner Wohnung aus noch ein letztesmal das
prüfende, des Gelingens sich freuende Auge darauf ruhen zu lassen, ehe es im
Tode brach.
Wer wird das unterbrochene Werk vollenden? so fragte man trauernd vor
nun sieben Jahren. Aber siehe, da waren Freunde und Geistesgenossen des
Geschiedenen, Bildhauer Hähnel und unser I. Schnorr an ihrer Spitze,
welche wissen, was Rietschel wollte; da waren Schüler des Meisters, welche
unter dem Beirath jener ausführen konnten, was der Meister sollte. Der
Bildhauer Kietz hatte sich als Meister historischer Schilderung und individueller
Charakteristik bereits im List-Denkmal zu Reutlingen beurkundet. Sein Mit-
strebender, der Bildhauer Donndorf in Dresden, hatte sich gleiches Ver-
trauen des Lehrers und des Publikums erworben und der als Dritter noch
hinzugetretene Schilling hat erst in der jüngsten Pariser Ausstellung durch
seine Figur der „Nacht" sich eine Palme geholt.
So wurde Alles recht und schlicht im Sinne des entschlafenen Meisters
vollendet. In der gräflich Ein sied el'sch en Gießerei Lauchhammer (bei Mückeberg
im Regierungsbezirk Merseburg), in deren Auftrag, der 22jährige Rietschel
einst seine erste selbständige Arbeit, eine Neptunstatue für den Marktbrunnen
zu Nordhausen, ausgeführt hatte, wurden die ehernen Gebilde gegossen und
ciselirt. Ihre Untersätze von polirtem Syenit wurden nach der Zeichnung des
Architekten G. Nicolai von Stahlmann und Wölfel aus den Brüchen
des Fichtelgebirges in Bayreuth mit mathematischer Genauigkeit ausgeführt.
Mit ihrer dunkeln Farbe bilden sie einen schönen Gegensatz zu dem hellglän-
zenden Erze, bis dieses von der Lust die edle Patina, den dunkeln Ueberzug
erhalten haben wird, der erst den vollen- Farben-Ein- und Wohlklang
geben muß.
Aber welche Mühen und Sorgen hat das Denkmal nicht blos den Künst-
lern gemacht, bis es zur Stelle kam, ja seine Stätte fand! Ursprünglich hoffte
der Vereins-Ausschuß, den Heyl'schen Garten an der nordwestlichen Seite des
Domes zu gewinnen, wo einst der bischöfliche Palast stand, in welchem Luther
den 18. April 1521 vor Kaiser und Reich sich verantwortet hat. Aber die ka-
tholische Besitzerin trat den Garten um keinen Preis ab. Nun bot die Stadt
den Platz an, worauf das jetzige Rathhaus steht. Als dieser von den Künst-
lern für schlechthin ungeeignet erklärt wurde, verharrten die Gegner, welche
einen Platz in der Altstadt aus gewerblichem Interesse gewählt wissen wollten^
in erbittertem Widerstreben ein volles Jahr lang, so daß die großherzogliche
Regierung das fernere Verhandeln darüber im Magistrate verbieten mußte,
bis endlich im Mai 1865 zu Gunsten des jetzigen Platzes entschieden wurde.
Dieser liegt vor dem „Neuthor" am Ende des im alten Stadtgraben angelegten
öffentlichen Spaziergangs zwischen der Altstadt und der an die Eisenbahn sich
 
Annotationen