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Die Berliner Kunstausstellung von 1881.
Die Kunst war von jeher ein Kind ihrer Zeit. Der Geist, welcher die
letztere beherrschte, spiegelte sich auch in der ersteren ab: so auch heute. Gott
entfremdet, dem Materialismus fröhnend, wirkt der moderne Zeitgeist in diesem
Sinne auf die Kunst: sie wird inhaltsleer, verflacht und sucht den Mangel durch
technische Virtuosität zu ersetzen, vergessend, daß Schöpferkraft und Technik vereint
wirken müssen, wenn etwas Großes erreicht werden soll. So war es in Hellas,
dessen Plastik, noch heute unübertroffen, uns mit Staunen und Bewunderung
erfüllt; so war es im Mittelalter, das als unerreichtes Vorbild aller Zeiten mit
seinen gewaltigen Schöpfungen vor uns steht. — Damals wurden den Künstlern
große Aufgaben gestellt: Griechenland schmückte Tempel und Paläste mit seinen
Phantasie-Göttern und Heroen; die christliche Kirche erzog die Kunst, daß auch
sie von Altar, Chor und Wand herab die großen Thaten Gottes verherrliche
und in ihrer Form- und Farbensprache davon zeuge.
Jetzt ist das anders. Zum Theil aus den Gotteshäusern verdrängt, zum
Theil aus Mangel an Mitteln nicht herangezogen, gleicht sie einem verstoßenen
Kinde, das nur in den Dienst der Welt getreten, um sein Dasein zu fristen
und nur ausnahmsweise noch zu höheren, monumentalen Werken berufen wird,
denen es, weil längst der großen Aufgaben entwöhnt, dann nicht mehr gewachsen
ist. Ist es da ein Wunder, wenn sich die bildende Kunst andere Bahnen sucht,
wenn sie im Bewußtsein, das früher Geschaffene doch nicht erreichen zu können,
ein Neues bieten will und Felder in Betrieb setzt, die früher brach gelegen
haben? — Die Kleinmalerei, die Landschaft u. s. w. sind die Folge, sind die
Zöglinge dieser modernen Zeitströmnng.
So viel Herrliches nun in der alten christlichen Kunst geschaffen worden,
so kann man sich doch nicht verhehlen, daß die sich massenhaft wiederholenden
Darstellungen thronender, von verehrenden oder anbetenden Heiligen und Mär-
tyrern umgebener Madonnen dem evangelischen Christen zu wenig sagen,
um ihn erbauen zu können; ihn verlangt nach der heiligen Geschichte, nach
den Glaubens thaten, die ihn alles dessen erinnern, was im Reiche Gottes
auf Erden zum Heil der Menschheit geschehen. Daß die gegenwärtige Berliner
Kunstausstellung dem gläubigen Christen auch solche Kunstwerke bietet, davon später.
Zunächst einige Bemerkungen über zwei größere Werke biblischen Inhalts,
welche zwar Interesse erwecken, aber nicht befriedigen. Das eine ist „Die Ver-
suchung" von Graf von Harr ach (Berlin). Auf kahlem, mit greifbarer
Wahrheit gemalten nackten Felsen der Wüste steht der Heiland, dunkel in hm
sonnengoldigen Äther hinaufragend, unter welchem die Reiche der Welt, die der
Teufel dem Herrn zu eigen geben will, prachtschimmernd sich zeigen. Der
Teufel, wegen seines schönen weibischen Antlitzes und seines reichen goldenen
Schmuckes, wie ihn nur Damen um den Hals tragen, von den meisten für eine
Art Satanella gehalten, obwohl die Arme wie der nackte Oberkörper annähernd
männliche Formen aufweisen, schwebt etwas tänzerhaft auf lichten, aus der Tiefe
emporwirbelnden Dämpfen und zeigt, das mit einer goldenen Krone geschmückte
 
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