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Baukunst des Mittelalters .... Wir sehen die starren rechtkantigen Massen der '
noch ungetrübten romanischen Baukunst, die flüssige, schwungvoll bewegte Formen-
welt des Übergangs, entstanden durch plötzlich aus der Fremde (Frankreich)
herüberdringcnden Hauch, der die Glieder löst und belebt — ordnungslos eine
Zeit lang; dann aber ruht in sich selbst, in siegstolzer Kraft, die blühende Gotik.
Wir sehen sie matt und derb werden und wieder die luftigen spätgotischen Hallen,
über deren hartrippige Gewölbmaschcn eine schon in die Renaissance hinein-
spielende Malerei sich fröhlich mildernd ergießt — und nimmer, auch bis zum
letzten Bauwerke nicht, verläßt sie der malerische Reiz, der geheimnisvolle Zauber
gedrängt einfallenden Lichtes und einfach schöner Verhältnisse. Man lernt hier-
mühelos im Anschauen das Entstehen und Vergehen der Formen. Und wie
im Besonderen, so giebt auch im Großen Stil und Stellung der verschiedenen
Bauwerke immer neue stimmungsvolle Einblicke, überraschende Durchsichten, ma-
lerische Gruppen; und dabei sind diese Bilder der Kunst meistens nicht allein,
sondern unauflöslich verknüpft mit denjenigen der Natur und prägen sich des-
halb um so unauslöschlicher in die Seele — am schönsten im Herbst, wenn die
Blätter fallen und die Vergänglichkeit des Naturlebens zusammenstimmt mit dem
Geist, der diese vor der Zeit verlassenen Hallen in sanfter Wehmut durchflüstert."
Das sind aus der innersten Seele dieses alten Klosters und der klösterlichen
Kunst selbst herausgesprochene Worte des neuesten sachkundigsten Erforschers und
geist- und poesievollen Bcschreibers der Maulbronner Herrlichkeiten und Sehens-
würdigkeiten.-Z lind wem wären sic nicht aus der eigenen Seele gesprochen, der
wie der Herausgeber des Christlichen Kunstblattes in jenen alten Halten geweilt
und Maulbronn als ein Stück Jugcndheimat im Andenken hat.
Mehr als ein halbes Jahrhundert ist verflossen, seit wir durch das ma-
lerische altersgraue Klosterthor eingezogen sind, um vier Jahre lang hinter Schloß
und Riegel, die sich nur zu kurzen Ausgangs- und Vakanz-Zeiten öffneten, den
klassischen Studien zu leben und als Zöglinge der seit dem Jahr 1558 dort
eingerichteten evangelischen Klosterschule (jetzt heißt sie niederes theologisches Se-
minar) zum Einzug in „das Stift," das höhere theologische Seminar in Tü-
bingen, uns vorzubereitcn. Über der Thüre ins eigentliche Seminargebäude
lasen wir, von einer frühe Schopcnhauerisch geführten Hand geschrieben, das
Wort über dem Eingang in Dantes Hölle: „laßt alle Hoffnung dahinten, die
ihr hier eintretet." Aber wo wäre eine rechte Jugend, die nicht hoffnungsvoll
wäre selbst in Kcrkermauern? Und in diesen Mauern ließ sich leben und auch
etwas werden. Ist doch der große Johannes Kepler einst als Scholar drei Jahre
lang (1586 bis 1589) hier aus- und eingegangen und die Kronik der Klosterschule
weist Zöglinge auf wie den berühmten Heidelberger Or. Paulus und den noch
berühmteren Tübinger vr. Baur; auch der große Philosoph Schelling ist ein Maul-
Die Cisterzicnser-Abtei Maulbronn bearbeitet von Professor vr. Ednard Paulus. Mit
6 Tafeln in Steindruck nach Aufnahmen und Zeichnungen der Baumeister Dank uud Schneider
uud 236 Holzschnitten von A- Cloß, meist nach Aufnahmen und Zeichnungen von Prof. C.
Rieß. Herausgegeben vom Wnrttcmbcrgischcn Altertums-Verein. Zweite Auflage. Stuttgart.
Verlag von A. Bonz L Comp. 1882.
 
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