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sondern mit Zucht und bei geschlossenen Kirchthüren." (Vergl. die aktenmäßige
Württemb. Neformationsgeschichte von Or. Engen Schneider, Stuttg. 1887. S. 55.)
An den zwei Pfeilern des einstigen Lettners zwischen Chor und Schiss sieht
man zwei Konsolen. An der einen Konsole rechts vom Altar (nördlich) hält
links ein Engel ein zierlich gerolltes Spruchband mit den Worten: „Wer ist
die hier fnir gat ranti VI. mp." (alte Übersetzung der Vulgata: gnüs ost
ista, gnao proA-rsclitnr gnasi nnrora, oonsnrAsns (Luther: Wer ist, die hervor-
bricht, wie die Morgenröte, schön wie der Mond, auserwählt wie die Sonne?
Hohelied 6, 9.) An der andern südlichen Konsole zeigt über einer Lage zu einem
hübschen Kranz geordneter Feigen oder Birnen ein Spruchband mit schönem
Laubwerk die Inschrift: sanatus ainnnäns llnjns soolssins pntronns 1520.
Möglicherweise wurden 1537 die Standbilder der Maria und des Bischofs
Amandus, weil sie „angebetet" wurden, von den Konsolen herabgenommen. Aber
auch die Bilder des Moses, David, Josua, Jonas und Jesaias an dem Tauf-
stein des „Steinhauers Christoph von Urach" vom Jahr 1518 blieben un-
verletzt, so gut als sein h. Christoph am Marktbrunuen. Wurden denn die
Heiligenhäuschen und -Bilder auf den Streben jemals „demoliert", so wird
jedenfalls die Reformation daran nicht schuld sein, welche ja auch die Standbilder
am Chor der Stistskirche zu Tübingen, auf den Strebepfeilern der Stadtkirche
zu Reutlingen, im Äußern der Stiftskirche zu Stuttgart, die Figuren des Kreuz-
berges vor dem Chor der Leonhardskirche u. s. w. unangetastet ließ. Am wahr-
scheinlichsten sind die Streben an der Südseite der Amanduskirche zu Urach nicht
wirklich mit Tabernakeln gekrönt worden. Der Vorsatz war wohl da, die An-
sätze dazu sind noch sichtbar; aber seit Eberhards Tod halten die Zeiten sich ge-
ändert. Die Eroberung Reutlingens 1519 hatte Herzog Ulrich mit Thron und
Land zu bezahlen. Zum Ausbau der Streben fehlte das Geld. Man war
froh, daß der Taufstein 1518 fertig und bezahlt war. Wer weiß, ob nur
die Standbilder der Maria und des Amandus wirklich auf die mit 1520
bezeichneten Untersätze gekommen sind, in der Zeit, da Herzog Ulrich in der
Schweiz bereits Zwinglis Schriften las. Mußte man dann die Ausführung des
Strebeschmucks auf bessere Tage verschieben und überdachte man alsbald die
grauen Häupter einstweilen, oder gab man erst später den Ansätzen das Not-
dach, damit die Streben nicht Schaden nahmen durch Regen und Schnee — in
jedem Falle gereichen diese plumpen rohen Nothelfer seit nur allzulange so wenig
zur Zierde und Ehre, als das Gestühl im Innern, über welches Herr vr. Keppler
sagt: „Betritt man das Innere, so muß man sich Mühe geben, das über alle
Beschreibung häßliche Stuhl- und Emporenwerk nicht zu sehen, mit welchem
hoffentlich eine baldige Restauration gründlich aufräumen wird," und „man wird
wohl am besten thun, den einfachen Giebelabschluß der Streben an der Nord-
seite auch an der Südseite nachzubilden."
An der steinernen Kanzelbrüstung sind allerdings die vier am Pult sitzenden
abendländischen Kirchenlehrer in Hochrelief mit den Zeichen der vier Evangelisten
„nicht ganz zu der persönlichen Freiheit und Bedeutung der Propheten am
Taufstein herausgearbeitet, aber immerhin tüchtig." Wohl einzig in seiner Art
 
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