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Aus den ersten drei Jahrhunderten fehlen uns leider genügende Einblicke
in die christliche Kunst außerhalb der Katakomben. Nur verstreute Stücke liegeu
vor uns, die wir zu einem Bilde nicht zusammenzusetzen vermögen. Doch darf
trotzdem geurteilt werden, daß diese Kunst jedenfalls nicht symbolisch war und
daher keine Berechtigung besteht, von einem symbolischen Charakter der altchrist-
lichen Kunst als solcher zu redeu. Es fragt sich sogar, ob sie iu hohen: Grade
überhaupt religiös bestimmt war. Mau darf vielmehr annehmen, daß der Gesamt-
charakter der bildnerischeu Ausstattuug eiues eiufach bürgerlichen oder eines vor-
nehmen christlichen Hauses des dritten Jahrhunderts etwa sich in der Regel von
derjenigen heidnischer Häuser nicht unterschieden hat. Die Entdeckungen unter
der Kirche S. S. Giovanni und Paolo in Rom (vgl. meine Archöologie der
altchristlichen Kunst, München 1895, Seite 241 ff.) und aus wenig spaterer Zeit
die Miniaturen der Wiener Genesis (ebenda Seite 188 ff. und Christliches Kunst-
blatt 1896, Seite 33 ff.) lassen darüber kaum zweifeln. Wir stehen vor der
Thatsache, daß von: vierten bis sechsten Jahrhundert die Symbolik nur auf
einen: kleinen Gebiete fortlebt, das gegen Ende des fünften Jahrhunderts fast
ganz zusannnengeschrunipft ist, und jenes Minoritätsverhültnis bestimmte ohne
Zweifel auch die Situation vor Konstantin den: Großen.
Im Mittelalter läßt sich ein nennenswertes Fortleben der altchristlichen
Gräbersymbolik nicht entdecken, wohl aber eine andere Symbolik in verschiedenen
Ausprägungen. Die Quellen, aus denen diese stammen, waren mannigfaltig.
Die heilige Schrift und die Legende behaupten darin den ersten Platz. Wenn
das selbstverständlich ist, so hat sich dazu unter anderen: ein wunderlicher Gast
eingestellt, von dessen Wirken noch zahlreiche Spuren, vor allen: in den: plastischen
Schmuck der mittelalterlichen Kirchen uns vor Augen treten und nut den: die
folgenden Ausführungen etwas näher bekannt machen wollen. Es ist der so-
genannte Physiologns.
In der heiligen Schrift wird zur Vergleichung öfters auf Tiere Bezug ge-
nommen, in denen eine bestimmte Eigenschaft scharf ausgeprägt ist, wie Adler,
Löwe, Fuchs u. f. w. Etwas anderes, eine Weiterbildung ist es, wenn, und
zwar schon seit den: zweiten Jahrhundert, Kirchenlehrer Tiergeschichten be-
nützen, um daran eine moralische Nutzanwendung oder eine religiöse Lehre zu
knüpfen. Es sind dies zum Teil Fabelgeschichten, welche aber den: naturgeschicht-
lichen Wissen der damaligen Welt als Wahrheiten galten. Aus diesen Einzelheiten
wurde endlich ein Buch, der christliche Physiologns, d. h. Naturgelehrte oder
Naturforscher. Es ist ursprünglich in griechischer Sprache abgefaßt, wahrschein-
lich in: vierten Jahrhundert, dann aber in zahlreiche andere Sprachen übersetzt
worden, ein Zeichen seiner großen Beliebtheit. So giebt es eine äthiopische,
syrische, arabische, armenische Übertragung. Auch in das Lateinische wurde es
übersetzt, und von da aus in zahlreiche Volkssprachen des Mittelalters, auch in
das Deutsche übernommen, entweder als Übersetzung oder als freie Überarbeitung.
Die Bezeichnung rührt daher, weil die einzelnen Abschnitte regelmäßig mit den
Worten eingeleitet werden: „Der Physiologns sagt" u. f. w. Unter den: Phy-
siologus ist der Verfasser eines nichtchristlichen natnrgeschichtlichen Werkes ver-
 
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