Februar 1916 Achtundfünfzigster Jahrgang Nr. 2
Zu Wilhelm Stemhausen 70. Geburtstag.
Mit fünf Abbildungen.
Blumen im Winter,
Sonne im Wetter,
Ruhe im Wogen,
Stille im Winde,
Wahrheit im werden!
Vas, o Herr,
Gib uns
Menschen auf Lrden,.
Um für den Himmel
Menschen zu werden.
^^o schrieb ich an einem Abend ins Stammbuch des Hauses Steinhaufen. Meine
Seele war voll von dem mächtigstens Erlebnis, das ich in meinem Leben
hatte: das ganze Merk eines Mannes in wenig Tagen überschauen, von
dem ich erkannte, daß er ein Meister war und vielen vieles zu werden berufen
war. Noch lange haben sich bis in meine Träume hinein diese glücklichen Tage
gezogen, und als ich an der Monographie des Künstlers zu arbeiten be-
gann, erkannte ich erst, daß ich eine ganze Kulturschicht und Kunstschicht neu
studieren mußte. Zu den Füßen des alten Goetheforschers Hermann Grimm hatte
ich zwölf Jahre vorher in Berlin gesessen. Nus seinen „Fragmenten" hatte ich
auch etwas von Steinhaufen erfahren und sah, wie mächtig diese Kunst den alten,
zurückhaltenden Mann erfaßt hatte. Durch alle eignen Unzulänglichkeiten und
Zweifel hindurch trat immer wieder der alte Hermann Grimm in meine reben-
umrankte Balzheimer Studierstube und sagte mir: Wag es - du bist ja bloß ein
Pfarrer - , kein vernünftiger wird von dir verlangen, daß du eine kunstwissen-
schaftliche Arbeit über diesen Wilhelm Steinhaufen schreiben sollst, du mußt den
Mann mit dem Herzen sehen und ihn dem Volk - nicht den Kunsthistorikern —
geben. So ist Wilhelm Steinhaufen in der Weltabgeschiedenheit ein Stück Leben
von mir geworden und alte Zeiten stiegen auf. Wer noch Hermann Grimm in
seinen letzten Tagen sah und erlebte, wenn er von seinen ersten Böcklin-Tindrücken
und seinen Kämpfen um Böcklin sprach und von seinen Gesprächen mit der alten
Kaiserin Augusta, die eben zu meiner Berliner Zeit starb, der weiß, was da-
mals für ein Mann vor uns stand, die wir in heißem Bemühen als „Füchse"
der werdenden neuen Zeit lebten zwischen Harnack, dem Entdecker der Urgeschichte
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Zu Wilhelm Stemhausen 70. Geburtstag.
Mit fünf Abbildungen.
Blumen im Winter,
Sonne im Wetter,
Ruhe im Wogen,
Stille im Winde,
Wahrheit im werden!
Vas, o Herr,
Gib uns
Menschen auf Lrden,.
Um für den Himmel
Menschen zu werden.
^^o schrieb ich an einem Abend ins Stammbuch des Hauses Steinhaufen. Meine
Seele war voll von dem mächtigstens Erlebnis, das ich in meinem Leben
hatte: das ganze Merk eines Mannes in wenig Tagen überschauen, von
dem ich erkannte, daß er ein Meister war und vielen vieles zu werden berufen
war. Noch lange haben sich bis in meine Träume hinein diese glücklichen Tage
gezogen, und als ich an der Monographie des Künstlers zu arbeiten be-
gann, erkannte ich erst, daß ich eine ganze Kulturschicht und Kunstschicht neu
studieren mußte. Zu den Füßen des alten Goetheforschers Hermann Grimm hatte
ich zwölf Jahre vorher in Berlin gesessen. Nus seinen „Fragmenten" hatte ich
auch etwas von Steinhaufen erfahren und sah, wie mächtig diese Kunst den alten,
zurückhaltenden Mann erfaßt hatte. Durch alle eignen Unzulänglichkeiten und
Zweifel hindurch trat immer wieder der alte Hermann Grimm in meine reben-
umrankte Balzheimer Studierstube und sagte mir: Wag es - du bist ja bloß ein
Pfarrer - , kein vernünftiger wird von dir verlangen, daß du eine kunstwissen-
schaftliche Arbeit über diesen Wilhelm Steinhaufen schreiben sollst, du mußt den
Mann mit dem Herzen sehen und ihn dem Volk - nicht den Kunsthistorikern —
geben. So ist Wilhelm Steinhaufen in der Weltabgeschiedenheit ein Stück Leben
von mir geworden und alte Zeiten stiegen auf. Wer noch Hermann Grimm in
seinen letzten Tagen sah und erlebte, wenn er von seinen ersten Böcklin-Tindrücken
und seinen Kämpfen um Böcklin sprach und von seinen Gesprächen mit der alten
Kaiserin Augusta, die eben zu meiner Berliner Zeit starb, der weiß, was da-
mals für ein Mann vor uns stand, die wir in heißem Bemühen als „Füchse"
der werdenden neuen Zeit lebten zwischen Harnack, dem Entdecker der Urgeschichte
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