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Curtius, Ernst [Hrsg.]
Die Ausgrabungen zu Olympia (Band 2): Übersicht der Arbeiten und Funde vom Winter und Frühjahr 1876-1877 — Berlin, 1877

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https://doi.org/10.11588/diglit.764#0006
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und Bewegungen gekennzeichnet und endlich — das Ueberra-
fchendfte von Allem — ein unverkennbarer Götterkopf.

Gleichzeitig vervollftändigten und ordneten (ich die Ge-
ftalten des Oftgiebels. Nachdem „Sterope", zweiter Wagen-
lenker und knieende Frau („Arethufa") im Januar aufgetaucht
waren, traten im März der vervollständigte Zeus und Pelops
zu Tage. Dadurch kamen auch die im vorigen Jahre vor der
Oftfront gefundenen Geftalten erft zu ihrer rechten Bedeutung
und in den richtigen Zusammenhang; die ganze Mittelgruppe
des Oftgiebels konnte nun in zweifellofer Weife wieder herge-
stellt werden.

Als ich um Oftern Olympia wieder auffuchte, fand ich die
Giebelgruppe des Paionios in der Hauptfachs vollständig vor,
von der des Alkamenes über zwei Drittel. Da der Marmor
nicht ftark zerfplittert ift und die Figuren aus grofsen Maffen
gearbeitet find, ift die Zahl der durchaus unbedeutenden Frag-
mente im Ganzen gering: bei Weitem die meiden find leicht
erkennbare Stucke und laffen (ich ohne Schwierigkeit zu grö-
fseren Ganzen zufammenfügen.

Aufserdem war in der byzantinifchen Kirche ein wichtiges
Denkmal für die nachklaffifche Zeit von Olympia aufgedeckt
und zugleich der Unterbau eines anfehnlichen Gebäudes des
Alterthums, bei dem man zunächst an das Hippodameion den-
ken mufste. Der Graben, welcher über die byzantinifche Kirche
hinüber an den Kladeos geführt wurde, diente zugleich dazu,
den von der Weftfronte aufgeräumten Schutt in den Kladeos
hinabzuftürzen.

So weit war man gegen Oftern.

Nun galt es im weiteren Umkrcife den Boden zu durch-
forschen, um die noch fehlenden Giebelftücke des Zeustempels
aufzufpüren und zugleich mit den anderen Heüigthümern der
Altis Fühlung zu gewinnen. Dazu dienten die beiden Nord-
gräben und der Nordoftgraben. Der Graben, der das Pelopion
aufdecken follte. verfehlte fein Ziel, aber nicht feinen Zweck.
Denn er führte zu dem Heraion, das an dem glücklichsten Kenn-
zeichen, dem in Heraion aufgehellten Hermes des Praxiteles
erkannt wurde, einem der alterthümlichften und merkwürdigsten
Tempelgebäude der Halbinfel. Der Parallelgraben deckte den
Prachtbau des Herodes Atticus auf: der Nordoftgraben endlich
die Fundamente der Schatzhäufcr am Kronoshügel.

Nach zwei achtmonatlichen Arbeitsperioden, von denen eine
durch die erfte Einrichtung der Arbeit, die zweite durch Un-
gunft der Witterung beeinträchtigt worden ift, find aufser der
Nike, dem Hermes des Praxiteles, der hoffentlich noch in diefem
Jahr photographirt und geformt werden wird, aufser den 14
römifchen Marmorkoloffen, welche den Beweis liefern, dafs auch
von den leicht erreichbaren Kunftwerken der Altis viele der
Zerftörung glücklich entgangen find, aufser der Atlasmetope
und den beiden anfehnlichen Metopenfragmenten, aufser der
Menge von Terrakotten. Infchriften und Bronzen im Ganzen

19 Sculpturen des Paionios und 14 des Alkamenes zu Tage
gefördert. Auch von ihnen haben einzelne wichtige Stücke,
wie die Gruppe des knabenraubenden Kentauren, Pferdeköpfe
u. A. diesmal noch nicht photographirt werden können.

Das neue Material, welches dadurch der Kunftgefchichte
dargeboten wird, kann erft allmählich verarbeitet werden und
es wäre voreilig, während die Ausgrabungen in vollem Gange
find, an eine zufammenfaffende Behandlung des neu Gewonnenen
zu gehen. Wir find erft jetzt im Stande, zwei der namhafteften
Bildhauer der perikleifchen Zeit in grofsen Originalwerken mit
einander und mit den Künftlern, welche am Parthenon gearbeitet
haben, zu vergleichen. In der Stadt des Perikles wurden an-
dere Anfprüche gemacht und waren andere Kräfte vorhanden
als in Olympia. Hier waren mit fremden Künftlern Verträge
gemacht, um in beftimmter Frift die bildliche Ausftattung des
Tempels herzustellen. Man erkennt nicht nur verfchiedenes
Material, und verfchiedene Künftlerhände, fondern auch verfchie-
dene Kunftfchulen in der Sculptur. Diefe Ungleichheit der
Arbeit finden wir in beiden Giebeln; in beiden die Vernach-
läffigung der Gewandung, namentlich in den weniger fichtbaren
Theilen, aber auch hier ift die Arbeit nicht gleich. Die fenk-
rechten Falten fowie die ftraff gezogenen find viel beffer als
die gedrückten Gewandmaffen. Wir finden in beiden Giebeln
diefelbe Verbindung von Relief und freier Sculptur, diefelbe
(wenn auch keineswegs durchgehende) Vernachläffigung der
Rückfeite, diefelben typifchen Stellungen knieender und liegen-
der Figuren, fo dafs die Gleichzeitigkeit beider Compofitionen
nicht in Frage geftellt werden kann.

Andererfeits beftehtzwifchen beiden Giebelfeldern die grofste
Verfchiedenheit.

Im Vordergiebel herrfcht ftrenge Symmetrie und eine
feierliche Ruhe, wie fie an der Oftfeite der Tempel dem reli-
giösen Gefühle der Hellenen entfprach. Das gefpannte Harren
auf das Zeichen zum Beginn des Wettkampfes war in wirkungs-
voller Weife dargeftellt. Zehn Figuren rechts, zehn links vom
Zeus füllten den Giebel; wenn man die Gipsabgüffe in den
gegebenen Raum einordnet, wird fich zeigen, wie weit es
möglich ift, mit dem vorhandenen Vorrath von Figuren die
ganze Compofition des Paionios der Hauptfache nach wieder
herzuftellen, oder ob es nöthig ift, noch Lücken anzunehmen.

Die Weftgiebelfiguren waren zahlreicher; fie waren freier
gruppirt und find noch nicht in genügender Vollständigkeit
j vorhanden, um eine Wiederherstellung des Ganzen zu verfuchen.
■ Auch hier find zwei Parteien, aber nicht in epifcher Ruhe einan-
der gegenübergeftellt wie im Often, fondern in lauter drama-
tifch bewegten Gruppen. Dort ift Meeresftille vor dem Sturm,
hier die aufgewühlte Fluth, ein auf beiden Seiten durchgeführtes
Kämpfen und Ringen; ein Kampf zwifchen Kentauren und La-
pithen, ein Ringen zwifchen Frauen und Kentauren. Daraus
bilden fich die mannigfaltigsten Gruppen, lofere und gefchlofsnere.
 
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