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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 16.1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.13554#0100

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89

Mnckelniann, als Kegenerator der modernen Kunstanschauung.

(Fortsetzung.)

6. Seine Ansichten über Malerei.

(Schluß.)

ebrigens braucht man durchaus nicht zu
glauben, daß Winckelmanu sich der Ge-
fahr, durch solches Allegorisiren in's
Räthselhaste zu geratheu, nicht
bewußt sei. Bekanntlich hat er
gegen seine Abhandlung „Ueber
die Nachahmung der Alten" selber
eine anonyme Kritik unter dem Titel eines „Send-
schreibens über die Gedanken von der Nachahmung
u. s. f." veröffentlicht, welche allerdings nur in
der Absicht und daher auch dem Inhalt nach so
abgefaßt ist, daß sie ihm zu einer Antikritik willkommen Ge-
legenheit geben konnte. Dieses „Sendschreiben" quillt von feiner
Ironie über, und wenn man sich erinnert, daß es damals im
Ernste genommen wurde — man schrieb es Hagedorn zu*) —,
so erhalten manche Bemerkungen eine geradezu komische Wendung.

Wir können es uns nicht versagen, einige von den Malicen
des sonst so seriösen Mannes, als Beläge zugleich für die Frische
und Klarheit seines jeder „Pedanterie" fremden Anschauens, mit-
zutheilen. Der Anonymus (Winckelmanu) giebt dem officiellen
Verfasser der „Gedanken über die Nachahmung" seinen Wunsch
zu erkennen, daß er die Schrift vor der Veröffentlichung der-
selben einigen „sachkundigen Freunden" gezeigt hätte. „Einer
von ihnen" — dies geht auf den Gallerie-Jnspektor Oesterreich
in Dresden — „hat zweimal Italien und die Gemälde der
„größten Meister an dem Orte selbst, wo sie gemacht sind, ganze
„Monate ein jedes, angesehen. Sie wissen, daß man allein auf
„diese Art ein Kenner wird. Ein Mann, der Ihnen sogar zu
„sagen weiß, welche von des Guido Reni Altarblättern auf
„Taffet oder auf Leinwand gemalt sind; was für Holz Raphael
„zu seiner Transfiguration genommen u. s. f.: dessen Urtheil,
„glaube ich, würde entscheidend sein! Ein Andrer" — hiemit
zielt er aus den Hosrath Richter, Antiqnarius des damaligen
Kurprinzen von Sachsen — „unter meinen Bekannten hat das
„Alterthum studirt: er kennt es am Gerüche; eallet et artikieem
„solo deprendere odore (Sectani Sat.); er weiß, wie viel
„Knoten an der Keule des Herkules gewesen sind; wie viel des
„Nestors Becher nach dem heutigen Maaß enthalten. . . Wie
„würden Sie sicher gefahren sein, wenn Ihre Arbeit vor den
„Richterstuhl solcher Gelehrten wäre gebracht worden! . . Der
„Zweite glaubt, der Bart des Laokoon hätte ebenso viel Auf-

*) In der Leipziger Neuen Gelehrt. Zeitung von 1756 äußert sich
Gottsched, der sich vollständig düpiren ließ, über das Sendschreiben: „Hage-
dorn schreibt hier vollkommen in unserm Sinn, als ein Kenner ohne Vor-
urtheil . . ." und hinsichtlich der unter Winckelmann's Namen erschienenen
Antwort darauf bemerkt er: „Es ist ein großes Vergnügen, alles Das zu
„lesen, was der freundschaftliche Streit zweier großen und gelehrten Kenner
„der schönen Künste hervorgebracht hat. Wenn man den Einen liest, so giebt
„man ihm Recht, und wenn man die Antwort liest, so zweifelt man, ob
„sie nicht ebenso gründlich ist." (Justi I. S. 443.)

„merksamkeit in Ihrer Schrift als der eingezogene Leib desselben
„verdient. Ein Kenner der Werke der Griechen, sagt er, muß
„den Bart des Laokoon mit eben den Augen ansehen, mit wel-
„chen P. Labat den Bart des Moses von Michelangelo ange-
„sehen hat. Dieser erfahrene Dominikaner, qni mores hominum
„multorum vidit es urbes, hat nach so vielen Jahrhunderten
„aus dem Bart der Statue bewiesen, wie Moses seinen Bart
„getragen, und wie die Inden ihn tragen müssen, wenn sie wollen
„Juden heißen. . . Man zeigte Ihre Schrift einem akademischen
„Gelehrten, der den Charakter des homerischen Margites zu er-
„ langen strebt; er sah sie an und legte sie weg. Der erste
„Blick war ihm also schon anstößig gewesen, und man sah es
„ihm an, daß er um sein Urtheil befragt sein wollte, welches
„wir alle thaten. Es scheint eine Arbeit, fing er an, über
„welche sich des Verfassers Fleiß nicht in Unkosten hat setzen
„wollen; ich finde nicht über vier bis fünf Allegate, und diese
„sind zum Theil nachlässig angegeben, ohne Blatt und Kapitel
„zu bemerken. . . Ich kann nicht leugnen, mein Freund, ich muß
„diesen Erinnerungen Recht widerfahren lassen. Der Mangel
„angeführter Schriften gereicht Ihnen zu einigem Vorurtheil.
„Die Kunst, aus blauen Augen schwarze zu machen" — dies
hätte nämlich Winckelmann als einen Beweis dafür, wie weit
die Griechen in dem Streben nach Verschwörung der Natur
gingen, angeführt — „hätte wenigstens ein Allegatnm verdient. .."

Im weiteren Verfolg wird dann die Anrede fallen gelassen und
in den Ton der Recension übergegangen: „Der Vers, behauptet
„mit dem Ton eines Gesetzgebens, die Richtigkeit des Contours
„müsse allein von den Griechen erlernt werden. In unfern
„Akademien wird insgemein gelehrt, daß die Alten von der
„Wahrheit des Umrisses einiger Theile des Körpers wirklich ab-
„ gegangen sind. . . Man hält es ordentlich für einen Fehler,
„wenn der Umriß gar zu sehr nach dem antiken Geschmack ist.
„Ganze Akademien in corpore, die also lehren, werden doch,
hoffe ich, nicht irren können." —

Nun kommt aber eine Stelle, die der Anonymus zwar
auch ironisch meint (denn er widerlegt sie später), die sich gegen
ihn selbst kehrt, weil sie in der That eine Wahrheit, und nicht
blos eine Ironie, enthält: „Ist nicht die Zauberei der Farben
„etwas so Wesentliches, daß kein Gemälde ohne dieselbe allge«
„mein gefällt? . . Sie ist Dasjenige in der Malerei, was der
„Wohlklang und die Harmonie der Verse in einem Gedicht sind"
(auch in der Musik, im Gegensatz zur Melodie, welche der
Zeichnung entspricht). . . „Das Kolorit ist überdem allen Ge-
„mälden eigen; Zeichnung sucht man in jedem Entwürfe, in
„Kupferstichen und dergleichen." Er schwächt dies zwar gleich
durch den Hinweis darauf, daß die Farbe manche Fehler in
der Zeichnung verdecke, sowie durch die angeführten Beispiele
(Niederländer, van der Werfft, Lairesse u. s. f. statt der großen
italienischen Koloristen) ab; allein selbst dies verräth doch eine
geheime Empfindung, daß solch' Einwurf nicht ungerechtfertigt ist.

Endlich kommt nun der Anonymus auch auf die „Allegorie",
und das lenkt uns wieder zu unserm abgebrochenen Thema zurück.
 
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