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Schneider, Paul [Hrsg.]; Dittmann, Lorenz <Prof. Dr.> [Bearb.]
Paul Schneider: [Bildhauer] ; [anläßlich der Ausstellung im April 1985 in Lebach] — Lebach, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.29726#0009
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Schon in der überlebensgroßen Gruppe
Mann und Frau von 1959/60 (Abb. 4) im
Saarbrücker Deutsch-Französischen Gar-
ten aber ist diese Kurvensprache zurück-
gedrängt zugunsten blockhafter Verfesti-
gung, die menschlichen Proportionen
kaum mehr gerecht wird. Ein gewisser
Zwiespalt zwischen noch nachwirkender
Gestaltung aus leiblichem Empfinden und
Einspannung in eine abstrakte Gesamt-
form ist nicht zu verkennen. Diese überfi-
gürliche Form aber ist der Stammesum-
fang eines mächtigen, vom Krieg zerstör-
ten — und über und über von Splittern
verwundeten — Baumes der Saarbrücker
Saaranlagen, dessen tiefe Risse von ei-
nem naturhaften, gleichwohl menschen-
verschuldeten Schicksal künden. Die
künstlerische Form versöhnt die der Natur
geschlagene Wunde zu einem Symbol
neuer Gemeinsamkeit.

Im Kugelbaum von 1962 (die erste Fas-
sung, in Gips für Bronze, mit einem drei-
stöckigen Aufbau, die zweite Fassung, in
Ulmenholz, mit einer vierstöckigen Über-
einanderordnung der Formelemente) ist
diese Unentschiedenheit zwischen noch
gegenstandsbezeichnender und freier
Gestaltfindung überwunden, — nun ist
Grundlage die autonome plastische Form.
Ringförmige und aus Zylinder und Kugel
abgeleitete Volumina bauen sich zu einem
Gebilde auf, das zugleich von leibanalo-
ger Lebendigkeit erfüllt erscheint. Mit sol-
cher analytischen Haltung wird erneut die
Nähe zu früheren Werken Henry Moores
spürbar, etwa zu dessen »Komposition«
von 1931 6).

Die Bronzeplastikßerührungdesselben
Jahres 1962 führt dann den »Oberkörper«
des »Kugelbaumes« einer formalen Klä-
rung zu: die den stereometrischen Grund-
formen von Kugel und Zylinder angenä-
herten Volumina erglänzen im Schimmer
der polierten Bronze. Die Kronenträgerin,
ebenfalls von 1962, dagegen erscheint
wie ein flächig vereinfachter »Querschnitt«
aus der ersten Fassung des »Kugel-
baumes«.

Sehr interessant sodann der nachfol-
gende Schritt von der »Kronenträgerin«
zur Bronzeplastik des Einäugigen Königs
von 1963 (Abb. 7). Er zeigt, wie stetig und

konsequent Schneider in seiner künstleri-
schen Entwicklung voranschreitet. Was
sich in der Überschau eines kunsthistori-
schen Rückblicks als offene Aufnahme pla-
stischer Gestaltungsmöglichkeiten zeigt, ist
in Wahrheit die Entfaltung eines künstleri-
schen Wollens zu seinem noch unbekann-
ten Ziel. Beim »Einäugigen König« schließt
sich der mehrgliedrige Formenaufbau der
»Kronenträgerin« zur einheitlichen scharf
winkelig konturierten Gesamtform zusam-
men, die einen mittleren zylindrischen
Hohlraum freiläßt, in den von oben ein Ku-
bus, von links eine Halbkugel, das »eine
Auge des Königs« ragen. Die winkelige
obere Begrenzung der Plastik schärft das
Kronenmotiv des früheren Werkes zum
wehrhaften Zinnenkranz. Das ganze Ge-
bilde erscheint nun gereckt und drohend,
estöntein Klangdes Unheimlich-Fremden
auf, von fern vergleichbar der berühmten
»Figur« von Jacques Lipchitz 7) oder man-
chen Skulpturen von Max Ernst. Zugleich
präzisieren sich die Formen zur stereome-
trischen Einfachheit. Schneider verfolgte
diesen sich hier abzeichnenden Weg zur
surrealen Gestaltung nicht weiter, bemer-
kenswertjedoch ist, daß schon hierstereo-
metrische Form, Masse und Leere in ho-
hem Maße ausdruckserfüllt sind.
 
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