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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 9.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1202#0016
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3

menten der Gesellschaft in einen unvermeidlichen Zusammen-
hang gebracht wird, ist es z. B. zur Verzierung von Straßen
und öffentlichen Plätzen bestimmt, so wird man von ihm ver-
langen können, daß es mehr oder minder auch den durch
Zeit und Ort bedingten Anforderungen der Sitte Rechnung
trage und selbst denen kein Gegenstand des Anstoßes oder
Aergernisses werde, die sich nicht zu einer höheren und freie-
ren Anschauung zu erheben vermögen. Liegt ihm aber ein
solcher Zweck fern, ist es zum Ankauf für Kunstfreunde oder
zur Ausnahme in Räume bestimmt, die ausdrücklich der Aus-

stellung von Kunstwerken gewidmet und nur denen geöffnet
sind, welche sie — gleichviel ob wirklich oder bloß angeblich
— des Kunstgenusses wegen besuchen: so kann es die volle
Freiheit, welche der Kunst den ethischen Forderungen gegen-
über überhaupt gestattet ist, auch für sich beanspruchen, und
auf Zumuthungen, die es in dieser Freiheit, beschränkt sehen
möchten, brauchen daher weder die Künstler selbst noch die
Vorsteher derartiger Locale Rücksicht zu nehmen.
Es handelt sich also nur um die zweite Frage, ob die
Kunstvereinsloeale, als solche bloß für Kunstzwecke bestimmte
Räume anzusehen sind oder nicht; und ich denke, diese Frage
beantwortet sich von selbst. Allerdings werden sich unter

den Personen, die hier zusammenslrömen, stets und überall
in größerer oder geringerer Anzahl auch solche befinden, die
von einer wirklich künstlerischen Anschauung der ausgestellten
Kunstwerke himmelweit entfernt sind, und denen es vielleicht
besser wäre, wenn sie das eine oder andere Bild nicht zu
sehen bekämen; aber diese Personen sind, wenn auch viel-
leicht nach den Statuten zum Eintritt wohlberechtigte, doch
aus keinen Fall diejenigen, um derentwillen derartige Aus-
stellungen stattfinden und auf welche bei der Auswahl der
Bilder besondere Rücksicht zu nehmen wäre. Wer Mitglied
eines Kunstvereins wird, muß sich eben von vornherein auf den
artistischen Standpunkt stellen und darauf gefaßt sein, daß
sich die Kunst da, wo sie zu Hause ist, nach ihren eignen,
nicht nach fremden Prineipien entfalte. Es ist ja Niemand
zum Eintritt in denselben und zum Besuch der Ausstellungen
gezwungen. Wer also durch das, was ihm dort geboten
wird, seine eigne oder der Seinigen Sittlichkeit gefährdet
glaubt, braucht sich ja nicht in die Gefahr zu begeben. Er
kann daheim bleiben oder an den ihm anstößigen Bildern
vorübergehen, aber er hat kein Recht zu verlangen, daß die
Kunst nur seinetwillen auf eine Freiheit verzichte, auf die
sie die vollgültigsten Ansprüche hat und ohne die sie nicht
bestehen kann. Erst, wenn man dort etwas zur Ausstellung
bringen würde, wodurch wirklich die höheren und gemein-
gültigen, auch von der Kunst heilig zu haltenden Sittenge-
setze verletzt werden — erst dann würde er ein Recht ha-
ben, das Verfahren des Vereins anzugreifen, denn in diesem


!

Fall wären auch diejenigen Voraussetzungen nicht erfüllt,
die man vom Standpunkte der Kunst selbst zu machen hat.'
Es fragt sich also — und hiemit gelangen wir zur dritten
der obigen Fragen — ob das fragliche Jacobs'sche Bild ein
solches ist, daß zu dem Anstoß, den es erweckt hat, ein
triftiger Grund vorhanden war.
Das Bild stellt „Susanna im Bade" dar. Darauf,
daß dieser Stoff ein schon oft behandelter, wie in der Kunst
gleichsam eingebürgerter und heimatb-berechtigter ist, will

ich zur Verteidigung des Bildes nicht allzu viel Gewicht
legen. Auch „Loth zwischen seinen Töchtern" ist ein solcher
Stoff, und trotzdem kann ich diesen nicht für einen sittlich
statthaften erkennen. Jener Stoff ist aber von diesem we-
sentlich verschieden. Dieser ist durch und durch unzüchtig;
jener ist zwar nicht frei von unlauteren Elementen — ich
meine die lüsternen Aeltesten, welche Susanna belauschen —
aber diese finden gerade an der Reinheit und Keuschheit der
Susanna ihren Widerstand; sie erscheinen nicht als siegend,
sondern als erliegend. Ein Stoff aber, in welchem die Un-
sitte zu Grunde geht und die Sitte triumphirt, kann nicht
als ein unsittlicher Stoff gelten. Freilich vermag der Maler
die sittliche Grundidee dieses Stoffes bei weitem nicht so
klar zum Ausdruck zu bringen, als der Erzähler, wenigstens
dann nicht, wenn er sich bloß mit der Darstellung des einen
Moments begnügt; aber ganz sind ihm die Mittel hierzu
keineswegs entzogen, denn er vermag, wenn er ein Meister
seiner Kunst ist, in die Erscheinung Susanna's einen solchen
Grad der Heiligkeit und Unantastbarkeit zu legen, daß sich
schon daraus ihr Sieg über die frechen Gelüste erkennen
läßt. Gegen den Stoff an sich ist also nichts zu sagen, man

mutzte denn etwa darin etwas Unsittliches sehen, daß er den
Künstler nöthigt, Susanna als nackt darzustellen. Wirklich
liegt, wie ich glaube, gerade in diesem Punkt für die Mei-
sten der eigentliche Stein des Anstoßes; trotzdem halte ich
eine Widerlegung dieser Airsicht für überflüssig, schon darum,
weil eine Annahme derselben ein Vandalismus sein würde.
Es bleibt uns nun bloß noch die Frage zu erwägen übrig,
ob vielleicht der Künstler den an sich nicht schlechthin ver-
werflichen Stoff in unsittlicher Weise behandelt hat. In
diesem Betracht kann ich das Bild nicht von jeder Verirrung
freisprechen; aber trotzdem muß ich es für eine Härte und
Ungerechtigkeit halten, wenn man es geradezu für unsittlich
und der Zulassung zur Ausstellung für unwürdig erklären
wollte. Susanna erscheint nackt, aber durchaus nicht mehr
als nach zweitausendjährigem Herkommen in der Kunst ge-
rechtfertigt ist; dem Schamgefühl ist Genüge geschehen, und
zwar ohne daß die Verhüllung zu einem indirccten Reiz-
mittel gemißbraucht wäre, denn sie erscheint natürlich, ab-
sichtslos. Die sitzende Haltung, in welcher der Künstler die
Susanna dargestellt hat, ist von außerordentlicher Schönheit
und zeigt die anmuthvollen Formen und Verhältnisse der
weiblichen Gestalt in makelloser Ausbildung, aber von einer-
eigentlichen Ueppigkeit, von einer Situation, die sinnlich zu
reizen vermöchte, ist keine Spur vorhanden. Sie ist dar-
gestellt, wie sie eben sich umschauend die lauschenden Alten
entdeckt und, in scheuem Entsetzen vor ihnen, abwehrend den

linken Arm gegen sie ausstreckt, während die rechte Hand
nach dem Gewände faßt. Ich bin nicht der Ansicht, daß
gerade die Darstellung dieses Moments, dem auch der scheue
Blick des Auges entspricht, vorzugsweise geeignet ist, die
Keuschheit und Charakterfestigkeit, welche über die Frechheit
den Sieg davon zu tragen verspricht, zum vollen Ausdruck
zu bringen, glaube vielmehr, daß es wirksamer gewesen sein
würde, Susanna entweder noch im Zustande der ungetrüb-
ten, von der Gegenwart der Lauschenden noch nichts ahnen-
den Ruhe, oder bereits im Momente der sittlichen Ent-
rüstung mit dem Ausdruck der Verachtung gegen die Alten
 
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