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Eggers, Friedrich [Editor]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 9.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1202#0116
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Neunter

Jahrgang.




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sch

Redigirt von Friedrich Eggers in Üeriin.






Neisebemerkungen in Tirol.
Von Karl Eggers.

Allgemeiner Eharnkler von Land und Volk. — Die Kirchen. — Die Pfarrkirche zu
Schwaz. — Die Pfarrkirche in Botzen. — Pfarrkirche zu Meran. — Der Bildhauer
Pandl. — Der Kirchhof zu Meran. — Die Spitalkirche dort. — Grabmäler und
Fresken der Pfarrkirche. — Die Barbarakapellc.
Der Conservatismus Tirols ist bekannt. Der politische
hat es, wenigstens so weit es Deutsch ist, zum getreusten
Erblande des Habsburgischen Kaiserhauses gemacht, der
religiöse fesselt es mit starken Banden an den päbstlichen
Stuhl. Die größten politischen Stürme, wie die Stürme
der Reformation, schwächten sich hier in den Bergen ab zu
leisen Windhauchen, die kaum flüchtige Spuren hinterließen,
und wenn Tirol die Reformation tatsächlich nicht weiter
kennen lernte, als durch einige Wiederklänge der deutschen
Bauernkriege in vereinzelten Brand- und Raubzügen brod-
losen Gesindels, so war dies vielleicht das geeignetste Mit-
tel, beim gesunden Kern des Volks die Verruchtheit der
Reformation so sehr außer Frage zu stellen, daß ein um so
festerer Anhalt an der katholischen Kirche die selbstverständ-
liche Folge sein mußte. Mit diesem religiösen Conservatis-
mus hängt der Inhalt der Kunst, wie die Art und Weise
ihrer Uebung in Tirol eng zusammen. Die vorwaltende
Geistesrichtung ist in dem Maße religiös, daß die Kunst
vielleicht nur in einzelnen Brennpunkten, welche an den
Straßen der Culturströmung liegen, zu einem Bewußtsein
über sich selbst gelangt ist; übrigens hat sie sich nicht von
der Religion emancipirt, sondern erscheint ausschließlich als
freilich unentbehrliche Dienerin derselben, die aber nur in
dieser untergeordneten Stellung eine selbständige Geltung
hat, d. h. im subjectiven Volksbewußtsein. Ihre objective
Geltung, die sie vermöge ihrer Ebenbürtigkeit neben der
Religion hat, verleugnet sie jedoch deswegen in ihrer Er-
scheinung, in ihren Gebilden, keineswegs; sondern jenes
Verhältniß zur Religion übte und übt vielmehr die wohl-
thuende Wirkung, daß ihren Schöpfungen das Gepräge der
Naivetät und Unmittelbarkeit in höherem Maße erhalten ist,
als es anderweit möglich ist, bevor die zum Selbstbewußt-
sein erwachte Kunst den Standpunkt der Subjektivität über-
wunden und sich dahin durchgerungen hat, mit Bewußtsein
objectiv zu sein. —
Daß die bisherigen Bemerkungen für das deutsche Süd-

tirol am zutreffendsten und hier am augenfälligsten sind, er-
klärt sich ohne Weiteres schon aus der geographischen Si-
tuation und deren Einfluß auf Land und Leute. Die rhä-
tischen Alpen scheiden es nicht bloß von Nordtirol, son-
dern überhaupt von dem Norden. Dadurch erhält das Land
zunächst selbst südlichen Charakter, indem seine Vegetation
sich in den nach Süden geöffneten Thälern nicht von der
lombardischen unterscheidet, und theilt demnächst diesen süd-
lichen Charakter seinen Bewohnern mit, insofern die geistige
wie leibliche Streb- untr Regsamkeit in allen Richtungen in
dem nämlichen Maße abnimmt, als die Ergiebigkeit des
Grund und Bodens eine mühelose physische Existenz zuläßt,
die genügsamen Ansprüchen des Wohllebens entspricht. Dies
ist eine Trennung von deutscher und eine Hinneigung zu
italienischer Art, die aber mehr die Oberfläche des geistigen
Lebens berührt; in der Tiefe findet das Umgekehrte statt.
Da ist das deutsche Südtirol bis ins innerste Mark deutsch
und sympathisirt so wenig mit den Nachbarn im welschen
Tirol, daß selbst in den Grenzorten nur sporadisch eine Ver-
mischung dieser beiden Volkselemente stattfindet, sonst aber
überall mehr eine gegenseitige Abneigung, wenn nicht gar
Nationalhaß offenbar wird, der mindestens in und seit den
letzten Revolutionsjahren oft genug hell ausflammte. — Diese
geographische und nationale Lage Südtirols muß unaus-
bleiblich eine ungemeine Jsolirung des Landes und Volkes
zur Folge haben: gegen die stammverwandten Völker hat
die Natur eine Scheide gezogen, und wo die Natur einte,
da trennt der Volksgeist. — In der That hat denn als
Wirkung und Beweis dieser Jsolirung der tiroler Conser-
vatismus hier seine festeste Position genommen und herrscht
in der ihm eigenen Regierungsform, deren Nachtheile und
Vortheile mit sich führend, bis ins kleinste Detail der Haus-
und Tagesordnung, der Tracht und Sitte. —
Aber bevor wir an diesen Herd des versteinerten Her-
kommens gelangen, ist uns bereits in Nordtirol kein Zwei-
fel daran geblieben, daß wir uns im Gebiete des Conser-
vatismus befinden. Selbst der flüchtigste Postreisende, dem
die Landschastsbilder der tiroler Thäler vielleicht nur nebel-
bildartig an den Fenstern vorüberfliegen, wird angenehm
von der Bemerkung berührt werden, wie gerade das starre
Festhalten an einer einzigen baulichen Tradition, den tiroler
Landschaften ein ganz eigenthümliches Gepräge gegeben hat.
Ich meine die Kirchthürme der Dorf- und der einzelnstehen-
den Wallfahrtskirchen und Kapellen, welche bei der Religio-
sität des Volkes in solcher Häufigkeit in die Gegend, sowohl
 
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