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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 9.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1202#0119
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schließt mit einer durchbrochenen Gallerie ab, auf deren 4
Ecken sich Fialen erheben und setzt sich achteckig wieder durch
zwei Geschosse fort, die beide durch reiche gothische Fenster
durchbrochen sind. Das Gesims des unteren dieser Ge-
schosse ist mit den Fialen durch künstliches gothisches Ast-
werk verbunden; ebenso die Eckfialen unter sich, in dem
noch kleinere Thürmchen aus die Mitte der vier Gallerien
gesetzt sind. An den Ecken des oberen Geschosses befinden
sich Statuen ans Consolen unter Baldachinen. Dann folgt
wiederum eine achteckige Gallerie mit Fialen und darauf der
in reichem Maßwerk ganz durchbrochene fialengeschmückte
Thurmhelm. Die Spätgothik zeigt sich in der Raffinerie
und dem Ueberreichthum der Detaildekoration, zuerst in
allem Maßwerk der Fenster, Gallerien und des Thurm-
helms; dann namentlich in der Verbindung der Fialen auf
der quadratischen Gallerie mit dem Gesimse des ersten achtecki-
gen Geschosses. Die Verbindungsglieder haben die Schwin-
gung des Eselsrückens, sollen offenbar den Uebergang ins
Achteck vermitteln, sind aber in einer durchaus überladenen
und verwirrenden Weise angebracht, so daß' sie mehr stören.
Es scheint, als wenn sie auch die Fialen zu halten scheinen
sollen. Wäre dies intendirt, so wird die Illusion völlig
zerstört durch den Aufwand an eisernen Stangen, der er-
forderlich war, um diese Schwebeglieder selbst zu halten.
Selbst in einfacheren Gliedern zeigt sich das Siechthum der
Productivität; z. B. in dem-Friese unter der quadratischen
Gallerie, der sehr einfach aus Kreissegmenten constrüirt,
gleichwohl offenbar das Gepräge hat, gemacht und nicht
entstanden zu sein. Was den harmonischen Eindruck des

Sig. 0.


Ganzen übrigens erheblich beeinträchtigt, ist ein moderner
Kapellenanbau im Rundbogenstyl, der unmittÄbar mit der
.fünfseitig geschlossenen Absis verbunden ist. —
Wenn wir, einmal bei Detailschilderungen angelangt,
noch einige weitere Notizen über beachtete Spezialitäten
hinzusügen, so sollen damit keineswegs erschöpfende Nach-
richten über das künstlerisch oder kunsthistorisch an den be-
treffenden Orten Interessante gegeben, ja nicht einmal be-
hauptet werden, daß das vorwiegend Interessante hervor-
gehoben ist; sondern, da die Beobachtung und Beachtung
bei vorwaltendem andern Reisezwecke lediglich durch den Zu-
fall geleitet wurde, so ist es nicht bloß möglich, sondern
wahrscheinlich, daß oft naheliegendes Wichtiges übersehen
wurde, wenn Näheres schon fesselte. Die Ausbeute flüch-
tiger Anschauungen kann aber wenigstens als relativer Maß-
stab für den Gewinn dienen, den eingehende Forschung
aus dem Materiale, das Tirol so reichlich bietet, würde er-
zielen können.
Einige Stunden entfernt von der besprochenen Kirche
mit dem ge schmück testen Thurme finden wir die Kirche
mit dem höchsten Thurme in Tirol, die St. Nikolaus-
, Pfarrkirche der Stadt Meran. Sie ist in den Jahren
1310—1367 erbaut, doch soll keine Urkunde den Baumeister
benennen, wie Beda Weber in „Meran und seine Umge-

bungen", einer gründlichen historisch-topographischen Schil-
derung des Burggrafenamts Tirol bemerkt. Das Langhaus
bildet eine dreischiffige Hallenkirche, an dessen Mittelschiff sich
der erheblich niedrigere Chor ohne Umgang mit fünfseitigem
Abschluß anlehnt. Die reichen Sterngewölbe ruhen auf je
5 schlanken, runden Pfeilern, aus denen die Gewölberippen
ohne weitere Vermittelung hervorschießen. Pfeiler und Nip-
pen sind von dunklem Sandstein, während die Wände und
Gewölbekappen weiß verputzt sind. An das nördliche Sei-
tenschiff lehnt sich die Sakristei, an das südliche der frei-
stehende Glockenthurm, der auf einem einzigen Spitzbogen-
gewölbe von vier Kappen ruhend im untern Geschosse einen
Straßendurchgang gewährt. Der quadratische Unterbau er-
hebt sich durch drei Hauptgeschosse,
deren drittes an allen vier Seiten
mit spätgothischem Maßwerk in ver-
schiedenen Mustern reich verzierte
Fenster zeigt und mit einer ähnlich
öig. 7.

Zig. !<

L



geschmückten Gallerie schließt, aus deren Ecken sich kleine
Thürmchen erheben. Dann folgt ein niedriges quadrati-
sches Geschoß, dessen Uebergang in die demnächstigen beiden
achteckigen Geschosse durch giebelartige Erhebung der durch
das Achteck abgekanteten vier Ecken des Untergeschosses ver-
mittelt wird. Der Thurmhelm schließt sich in einer achtsei-
tigen Kuppel, deren gegenüberstehende Kanten im Profil
einen sehr schlanken Eselsrücken bilden und über deren Basis
die acht Seiten des letzten Geschosses als geschweifte Giebel
hervorragen. —
Die Fa^ade zeigt ein einfaches Spitzbogen-Portal unter
einer in flachem Rundbogen geschlossenen Nische, die sich
über die Breite des ganzen Mittelschiffs spannt; so daß
unter derselben zu beiden Seiten des Portals noch hin-
reichender Raum für verschiedene Grabmäler bleibt. Der
obere Theil der Fa^ade ist durch Lisenen und horizontale
Bänder gegliedert; in die so entstehenden länglich einseiti-
gen Felder sind blinde Spitzbogenfenster hineingelegt; die
Lisenen enden mit kleinen Giebeln, die über die Dachseiten
hinausragen. — Zwei südliche Portale sind reicher, als das
Hauptportal, indem die Schwingung der äußersten Um-
rahmung einen mit Krabben und Kreuzblume geschmückten
Eselsrücken bildet, an dessen Basis sich zierliche Fialen er-
heben. Die Fenster, welche übrigens im Chor bloße Fen-
sternischen bilden, haben Maßwerk in verschiedenen, meistens
Fischblasen-Mustern, außerdem sehr wohl erhaltene Glas-
 
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