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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 9.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1202#0308
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tern der Kalender nach seinen lebendigen Figuren suchen. Das
Charakteristische also war es, diese Vorstuse des rein Schönen,
welches durch diesen Künstler Pflege und Ausbildung erhielt, zu wel-
chem er aus dem Wege der Naturbeobachtung gekommen war.
Diesen letzten Schritt zu thun, die höchste, eigentliche Aufgabe
der Kunst mit voller, warmer Seele, in edler Einfachheit und
Größe wieder zu umfassen, war Asmus Jacob Carstens (1754
bis 1798) Vorbehalten. Ehe die Romantiker kommen konnten mit
ihrer Forderung, die Kunst in der Religion zu suchen, mußten
wir wieder Classiker gehabt haben, welche die Religion in der
Kunst fanden. Carstens gehört zu diesen Letzteren. Als er das
erste Kirchenbild in der Kirche zu Schleswig sah, bat er
weinend und mit Inbrunst zu Gott, daß er ihm gewähren
möchte, dereinst auch zu seiner Verherrlichung solche Bil-
der malen zu können; als er aber die Götter Griechen-
lands in den Abgüssen des Kopenhagener Museums vor sich
sah, glaubte er, nicht minder zu Thränen gerührt, daß keine
Menschenhand sie habe machen können, und daß der Gott, zu
dem er in der Kirche zu Schleswig gebetet, ihm leibhaftig er-
schienen sei. Er nahm diese Gestalten ganz in sich auf; er er-
füllte sich ganz mit ihrem Wesen; niemals aber stand er vor
ihnen mit dem Bleistift in der Hand, um den Versuch zu machen,
sie dadurch für sein Inneres zu gewinnen. So war seine Art
zu studiren schon gründlich verschieden von dem bis dahin Her-
gebrachten. Er trug einen liefen Haß gegen das leblose aka-
demische Studium, wie es dazumal betrieben wurde; er bietet in
Allem den lebhaftesten Gegensatz zu Mengs. Wie dieser eine
heimliche Abneigung gegen Michelangelo gehabt hatte, als etwas
seinem Wesen durchaus Fremdes, so hatte sie Carstens gegen
Mengs bei aller Achtung vor seinem ernsten und redlichen Stre-
ben und bei der guten Meinung, die er von ihm in Vergleich zu
den übrigen Malern hegte. Er fand bei ihm in hoher Vollkom-
menheit Alles, was er als das Untergeordnete in der Kunst anzu-
sehn geneigt war, nichts dagegen von dem, was ihr innerstes
Wesen ausmacht. Ihm war die Poesie der Erfindung die Haupt-
sache; seine Motive sind aus der Natur des Inhalts geschöpft;
dieser spricht sich in bedeutenden Gestalten aus, denen immer leben-
dige natürliche Bewegung und ausdrucksvolles Handeln eigen sind.
Carstens hat sich nur in Aquarellen und Zeichnungen von
nicht bedeutender Dimension ausgesprochen. Die meisten davon
sind jetzt in Weimar; auch Berlin besitzt verschiedene. Allegorische
Darstellungen beschäftigten ihn anfangs am meisten. Später
mäßigte er seine Neigung zu diesen. Die Allegorie war eine ge-
läufige Sprache derer geworden, welche keine Gedanken, sondern
nur Phrasen zu sagen hatten. Carstens hatte Gedanken; allein
bei seiner Verehrung für die Prachtgestalten der Griechen — was
war natürlicher, als daß er die Körper der Götter für den edelsten
Stofs hielt, seine Gedanken auszudrücken? Und mit welcher edlen
Einfachheit geschieht dieses! Welch' ein ganz andrer Strom der
Empfindung geht durch diese Figuren. Was wir da sehen, hört
auf, Allegorie zu sein, denn es nimmt unsere Phantasie mehr ge-
fangen, als es unfern Verstand beschäftigt. Aber Rafael und
Michelangelo zeigten ihm die Möglichkeit, ja Nothwendigkeit
der dramatischen Darstellung; und sofort that er ihnen diesen
Schritt nach und hat den damit eingeschlagenen Weg nicht wie-
der verlassen. Er las die alten Dichter und Geschichtschreiber,
er laß Homer und die Tragiker, Shakespeare und Ossian. Sie
wurden die Quellen, aus denen er den Inhalt seiner Composi-
tionen schöpfte.
Die Ausstellung gab uns in 13 Blättern aus dem Besitze
Sr. k. H. des Großherzogs von Weimar und des Oberforstraths
Baron v. Uexküll Gelegenheit, diesen seltenen Künstler zu bewun-
dern. Recht bedeutungsvoll hatte man „das goldene Zeitalter"

zur ersten Nummer der ganzen Ausstellung gemacht, und recht
eigentlich ist dieser Stoff der Inhalt an und für sich, welcher bis
dahin der Kunst gefehlt hatte. Das rein Menschliche, das schlechthin
Schöne im Genüsse seiner selbst war ihr durchaus abhanden ge-
kommen. Hier sind Menschen, schöne Menschen im glücklichen,
unbedürstigen Beisammensein vereinigt. Weil sie nichts darstellen,
nichts agiren, nichts wollen, als dasein, so liegt in ihnen die Be-
dingung der Thaten und der Leiden der Menschheit überhaupt;
es ist dies der Elementarstoff der Historie. Dieser Stoff ist
malerisch gar nicht wiederzugeben, wenn der Künstler nicht die
Macht hat, das Schöne sichtbar und gegenwärtig zu machen.
Hier ist es geschehen. Frauen und Kinder von großem unbe-
wußtem Liebreiz, Männer und Jünglinge von hoher Schönheit
finden sich in einer glückseligen Landschaft beisammen. Nie ist
dieser von modernen Malern öfter dargestellte Stoff in so hoher
Reinheit und Keuschheit erfaßt worden. An einzelnen Figuren,
namentlich den Männern, ist das Studium des Michelangelo
sichtbar. Nur an diesem einen Blatte haben wir es auffallend
gefunden, in den übrigen ist so durchaus Originalität, daß jenes
Studium abgethan, d. h. erfüllt erscheint.
Eine herrliche Composition ist die Gruppe: „Homer trägt
den Griechen seine Gesänge vor." Es ist eine Umriß-Federzeich-
nung. Hier ist nichts von Convention, von theatralischer Manier,
von Prätension, von irgend etwas, das nicht dahin gehörte und
den reinen Genuß an der vollkommenen Unbefangenheit und
Natürlichkeit der Gestalten störte. Es ist nichts Schlichteres denk-
bar, als diese Dichterfigur. Keine fremde Inspiration von oben;
— seine Wunder liegen in ihm. Kein idealisch gebauter Greisen-
kopf; er ist wie der Andern Einer, nur ehrwürdiger durch das,
was er dachte und dichtete. Diese seine innere Arbeit liegt
auf dem gefurchten, augenlosen Angesicht ausgedrückt. Aus
seines Herzens Tiefe hat er die Gesänge gestaltet und dem treuen
Gedächtnisse eingeprägt. Die Ueberlieferung aber geschieht einfach
und ohne deklamatorisches Pathos. Die Linke hält die Leier, die
Rechte ist zur Begleitung der Rede in simpelster Bewegung erho-
ben, die Haltung ist ein wenig gebückt. Um ihn ist eine Fülle
von zuhörenden Figuren, aber keine um des Motivs willen da, keine
hat eine Gattung von Zuhörern zu repräsentiren; es sind lauter
Individuen, und ihre dicht gedrängte Menge thut wohl, weil sie
es wahrscheinlich macht, daß sich die Einzelnen herangedrängt
haben und nicht um der Repräsentation willen von dem Maler
herangezerrt find.— Zwei in rother Kreide besonders ausgeführte
Gruppen lassen es tief bedauern, daß das Ganze nicht in gleicher
Weise zur Darstellung kam. Die eine zeigt den Sänger selbst
mit seiner nächsten Umgebung, die andere einen Alten und einen
Jüngling, in denen mit unnachahmlicher Schönheit der Charak-
teristik das Motiv zum Ausdruck gekommen ist, wie sich das Alter
an dem Eindruck weidet, den das Gehörte auf die jüngere thal-
kräftige Welt macht.
Lucian's Erzählung von dem Tyrannen Magapenthes, welcher
Angesichts des Charonnachens wieder zur Oberwelt zurückstrebt,
bis er mit Gewalt den Platz eines Schusters auf dem überfüllten
Kahn erhält, der sich dann auf feine Schultern setzt, hat Gelegen-
heit zu zwei Darstellungen gegeben, von denen die eine (das
Sträuben vor dem Betreten des Schiffes) zweimal vorhanden
war, einmal im Original, dann in einer Copie von I. Koch,
an der die ergänzende Hand des Landschafters in Bezug auf die
Lokalität interessant ist. Im Uebrigen bewegt sich in diesen Com-
positionen eine Fülle charakteristischer und schöner Figuren; keine
ist gesetzt, sie sitzen; keine ist gelegt, sie liegen, keine ist gestellt,
sie stehen; unbewußt natürliche und schöne Lagen und Stellungen,
auf welche Niemand von ihnen Zeit hat zu achten, da sie alle
mit dem Ereigniß durchaus beschäftigt sind.

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