Die erzählenden Gedichte sind nmsterhaft komponirt und wie
von selber entwickelt sich eine fesselnde Situation darin aus der an-
dern. Nirgend sind leere oder unfreiwillige Längen, etwa durch den
Kampf mit dem Material erzeugt, vielmehr gliedert sich dieses in
prägnanter Weise einer ihrer Herrschaft völlig sichern Hand, die nur
das poetisch Nothwendige herbeizieht. Gewöhnlich beginnen die Er-
zählungen mit einer Schilderung von Scenerie oder Personen, welche
einen, wir möchten sagen präludischeu Charakter haben, so daß sie
die erforderliche Stimmung vorzubereiten sehr geeignet sind, und ehe
man es merkt, ist man mitten in der Geschichte. „Hanne ut Frauk-
rik", „Peter Plumm" und die „Familljenbiller" sind eine wahre
Bereicherung unserer Literatur aus dem in Rede stehenden Gebiete.
Zn der eigentlichen Volksballade, unter denen „Hartleed" und „Ver-
larn" Stücke ersten Ranges sind, weiß der Dichter auf wunderbare
Art den Ton zu treffen, ebenso in denen historischen Inhalts, wie
„Hans von Zütphen" u, s. w.
Es ist außer aller Frage, daß zur außerordentlichen Wirkung
der Groth'schen Sachen nicht wenig beiträgt sein Geschick, das er in
allem an den Tag legt, was das Technische betrifft; es giebt ohne
Zweifel Viele, welche sich dieser Macht der Technik nicht deutlich
bewußt werden, obwohl sie dieselbe empfinden. Groth dichtet nicht
nur in den verschiedensten Versmaaßen, die er sehr charakteristisch zu
wählen weiß, sondern er hat sogar an einzelnen Virtuosenstücken seine
vollkommene Beherrschung der Form bewiesen. Dahin gehören „An
de Maan", ein Gedicht, worin er eine Fülle von weiblichen Reimen
zusammengehäuft hat, woran die niederdeutsche Sprache ebenso arm
ist, als ihre Tochter, die englische. Ferner: „Aauten int Water"
(Enten im Wasser), ein Stück, welches, rasch gelesen, ganz den Ein-
druck von Entengeschnatter macht. Zn dein schon erwähnten „Hanne!
ut Frankrik" zeigt der Dichter, ein wie vortrefflicher Hexameter sich
in der plattdeutschen Sprache bauen lasse. Allen diesen auf jeder
Seite hervortretendcu Beweisen von technischer Meisterschaft gegen-!
über war es um so überflüssiger, daß Groth — wie man uns mit-
getheilt hat, falsch bcrathen — sich in seinen, vor einiger Zeit er-
schienenen hochdeutschen Sonetten als richtigen Zunftgeuossen legiti-
miren zu müssen glaubte. Wir hören, daß die auch in unserm Lite-
raturblatte minder günstig bcurtheilte hochdeutsche Gabe wesentlich
aus Jugendarbeiten besteht, und haben eine große Beruhigung dar-
über empsimden.
Ein besonderes Kreuz für den ungestörten Genuß niederdeutscher
Gedichte bildet die durchaus nicht feststehende Orthographie. Die
von Ritter in seiner mecklenburgisch'-plattdeutschen Grammatik
(Rostock und Schwerin bei Stiller. 1832) vorgeschlagencn Grund-
sätze, die auf eine möglichst getreue Darstellung des Klanges hiuaus-
lausen, sind unbedingt abzulehnen, wogegen diejenige Schreibung sich
als die am meisten praktische bewährt, welche von der allgemein ge-
kannten hochdeutschen möglichst wenig abweicht und daher dem Auge
vertraut erscheint. Wir sind es ja auch im Hochdeutschen von
Zugend auf gewohnt, daß sich Klang und Zeichen nicht vollkommen
decken, warum sich also im Plattdeutschen diese Qual auflegen, welche
statt zu helfen, stört. Kein Plattdeutscher hat eine Ahnung davon,
was Ritter mit „Um" sagen will. Schriebe er Uhren oder Uhrn
so würde der Mecklenburger wissen, daß der Pluralis von „Ohr"
(Ohren) gemeint ist. Für den Ditmarschen, Westphalen und Pommern
muß man sogar „Ohren" schreiben (Groth thut es auch), und alle drei
werden das Wort, wenngleich unter einander ziemlich übereinstimmend,
doch durchaus verschieden vom Hochdeutschen und zwar mit einer Bei-
mischung von A im O aussprechen. Nichts ist aber sicherer, daß,
wenn man „Heu" ausspricht, wie es geschrieben steht, man möglichst
weit entfernt ist von der richtigen mecklenburgisch-plattdeutschen Aus-
sprache von „Ohren", welche platterdings mit den bestehenden Zei-
chen sich nicht schreiben läßt. Ein anderes Beispiel: Wozu das
Wort „von" durch die Schreibung „sonn" fremdmachen, da es bei
den verschiedenen niederdeutschen Dialekten zwar seinen Vokal in a
und u verändert, aber doch nicht andere Consonannten verlangt als
int Hochdeutschen. Die Mecklenburger werden sich wundern, wenn
wir ihnen sagen, daß „feiner" (mit einem Akut auf dem ersten e)
so viel als „vermiethete" heißen soll. Es versteht sich, daß für
einige Vokallaute besondere Zeichen eingeführt oder Verständigungen
getroffen werden müssen; aber damit ist auch die Hauptsache erle-
digt. Professor Müllen hoff hat sich um den Quickborn (in der
3ten Auflage) ein unbestreitbares, großes Verdienst erworben, indem
er eine auf vernünftigen Grundsätzen beruhende, konsequent durchge-
führte Schreibweise hingestellt hat, die cs auch jedem andern Platt-
deutschen, der den zu Grunde gelegten Ditmarscher Dialekt nicht
spricht, leicht und natürlich macht, seine Aussprache zu substituircn.
Von allen oben erwähnten Dichtern schreibt Brinckman am
meisten für's Ohr, wird dadurch dein Auge unverständlich und macht
seine Sachen schwer zn lesen. Man muß sich erst besinnen, was
z. B. „Bahre" heißen soll und liest das doch nicht besser, als
„Barer"; ja man kann dreist „Vadcr" schreiben und jeder Platt-
deutsche wird doch das d in der Mitte r sprechen, gerade wie der
Schwabe „isch" liefet, wenn man auch immerhin „ist" schreibt. Nach
Groth befolgt die beste Schreibweise H. F. W. Raabe in seinem:
„Allgemeinen plattdeutschen Volksbuch". Sannuluug von Dichtun-
gen, Sagen, Märchen, Schwänken, Volks- und Kinderreimen, Sprüch-
wörteru, Räthseln u. s. w. Wismar und Ludwigslust, bei Hiustorff.
1854. Da ist kein Zagen nach einer phonetischen Schrift; viel-
mehr geht der Herausgeber einen allgemein verständlichen Mittel-
weg und seine Sammlung liest sich sehr leicht. Sie ist ohnedies
sehr reich, und gut zusammengetragen; sie bringt nicht bloß, weil sie
Vieles bringt, Manchem Etwas, sondern durch gute Wahl Manchem
Vieles. Nur in Einem ist sie zu reich. Wir glauben, für ein
Volksbuch hätte der geschätzte Herausgeber wohlgethan, den „Aller-
hand ollen Awerglowen" wegzulassen. Daß das Volk in Mecklen-
burg, gerade so gut wie anderswo, nicht im geringsten über, son-
dern tief im Aberglauben steckt, hat ja Spitta erst kürzlich in
schaudererregenden Beispielen an die Qefsentlichkeit gebracht. Es
kann doch geschehen, daß hier und da, was der Herausgeber am
wenigsten gewollt hat, dem Aberglauben durch das „Allerhand" re.
Vorschub geleistet wird, trotzdem daß „ollen" darüber steht. He iS
leider Gott's nich so old. Auf den weiteren Inhalt des Buchs
gehen wir das nächste Mal näher ein.
Lenz uni)
So eben erschien bei F. A. Brockhenls in Leipzig und
ist durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Lenz und Söhne, oder: Die Komödie der Besserungen.
Lustspiel in fünf Auszügen.
8. Geh. 25 Ngr.
Dieses viel besprochene neueste Lustspiel Gutzkow's erscheint hier in einer vom
Dichter mannigfach umgearbeiteten Form und in seinem vollständigen Umfang.
Es bildet zugleich die zweite Abtheilung des achten Bandes der Drama-
tischen Werke von Karl Gutzkow. Tie bisher erschienenen Bände (jeder
1 Thlr. 20 Ngr.) enthalten:
I. Richard Savage. Werner. — II. Patkul. Die Schule der Reichen. —
III. Ein weißes Blatt. Zopf und Schwert. — IV. Pugatscheff. Das Urbild
des Tartnffe. — V. Der dreizehnte November. Uriel Acosta. — VI. Wullen-
weber. — VII. Liesli. Der K'önigslientenant. — VIII. Ottfried. Fremdes
Glück. Lenz und Söhne.
Verlag von Heinrich Schindler in Berlin. — Druck von Tronnhsch und Sohn in Berlin.
von selber entwickelt sich eine fesselnde Situation darin aus der an-
dern. Nirgend sind leere oder unfreiwillige Längen, etwa durch den
Kampf mit dem Material erzeugt, vielmehr gliedert sich dieses in
prägnanter Weise einer ihrer Herrschaft völlig sichern Hand, die nur
das poetisch Nothwendige herbeizieht. Gewöhnlich beginnen die Er-
zählungen mit einer Schilderung von Scenerie oder Personen, welche
einen, wir möchten sagen präludischeu Charakter haben, so daß sie
die erforderliche Stimmung vorzubereiten sehr geeignet sind, und ehe
man es merkt, ist man mitten in der Geschichte. „Hanne ut Frauk-
rik", „Peter Plumm" und die „Familljenbiller" sind eine wahre
Bereicherung unserer Literatur aus dem in Rede stehenden Gebiete.
Zn der eigentlichen Volksballade, unter denen „Hartleed" und „Ver-
larn" Stücke ersten Ranges sind, weiß der Dichter auf wunderbare
Art den Ton zu treffen, ebenso in denen historischen Inhalts, wie
„Hans von Zütphen" u, s. w.
Es ist außer aller Frage, daß zur außerordentlichen Wirkung
der Groth'schen Sachen nicht wenig beiträgt sein Geschick, das er in
allem an den Tag legt, was das Technische betrifft; es giebt ohne
Zweifel Viele, welche sich dieser Macht der Technik nicht deutlich
bewußt werden, obwohl sie dieselbe empfinden. Groth dichtet nicht
nur in den verschiedensten Versmaaßen, die er sehr charakteristisch zu
wählen weiß, sondern er hat sogar an einzelnen Virtuosenstücken seine
vollkommene Beherrschung der Form bewiesen. Dahin gehören „An
de Maan", ein Gedicht, worin er eine Fülle von weiblichen Reimen
zusammengehäuft hat, woran die niederdeutsche Sprache ebenso arm
ist, als ihre Tochter, die englische. Ferner: „Aauten int Water"
(Enten im Wasser), ein Stück, welches, rasch gelesen, ganz den Ein-
druck von Entengeschnatter macht. Zn dein schon erwähnten „Hanne!
ut Frankrik" zeigt der Dichter, ein wie vortrefflicher Hexameter sich
in der plattdeutschen Sprache bauen lasse. Allen diesen auf jeder
Seite hervortretendcu Beweisen von technischer Meisterschaft gegen-!
über war es um so überflüssiger, daß Groth — wie man uns mit-
getheilt hat, falsch bcrathen — sich in seinen, vor einiger Zeit er-
schienenen hochdeutschen Sonetten als richtigen Zunftgeuossen legiti-
miren zu müssen glaubte. Wir hören, daß die auch in unserm Lite-
raturblatte minder günstig bcurtheilte hochdeutsche Gabe wesentlich
aus Jugendarbeiten besteht, und haben eine große Beruhigung dar-
über empsimden.
Ein besonderes Kreuz für den ungestörten Genuß niederdeutscher
Gedichte bildet die durchaus nicht feststehende Orthographie. Die
von Ritter in seiner mecklenburgisch'-plattdeutschen Grammatik
(Rostock und Schwerin bei Stiller. 1832) vorgeschlagencn Grund-
sätze, die auf eine möglichst getreue Darstellung des Klanges hiuaus-
lausen, sind unbedingt abzulehnen, wogegen diejenige Schreibung sich
als die am meisten praktische bewährt, welche von der allgemein ge-
kannten hochdeutschen möglichst wenig abweicht und daher dem Auge
vertraut erscheint. Wir sind es ja auch im Hochdeutschen von
Zugend auf gewohnt, daß sich Klang und Zeichen nicht vollkommen
decken, warum sich also im Plattdeutschen diese Qual auflegen, welche
statt zu helfen, stört. Kein Plattdeutscher hat eine Ahnung davon,
was Ritter mit „Um" sagen will. Schriebe er Uhren oder Uhrn
so würde der Mecklenburger wissen, daß der Pluralis von „Ohr"
(Ohren) gemeint ist. Für den Ditmarschen, Westphalen und Pommern
muß man sogar „Ohren" schreiben (Groth thut es auch), und alle drei
werden das Wort, wenngleich unter einander ziemlich übereinstimmend,
doch durchaus verschieden vom Hochdeutschen und zwar mit einer Bei-
mischung von A im O aussprechen. Nichts ist aber sicherer, daß,
wenn man „Heu" ausspricht, wie es geschrieben steht, man möglichst
weit entfernt ist von der richtigen mecklenburgisch-plattdeutschen Aus-
sprache von „Ohren", welche platterdings mit den bestehenden Zei-
chen sich nicht schreiben läßt. Ein anderes Beispiel: Wozu das
Wort „von" durch die Schreibung „sonn" fremdmachen, da es bei
den verschiedenen niederdeutschen Dialekten zwar seinen Vokal in a
und u verändert, aber doch nicht andere Consonannten verlangt als
int Hochdeutschen. Die Mecklenburger werden sich wundern, wenn
wir ihnen sagen, daß „feiner" (mit einem Akut auf dem ersten e)
so viel als „vermiethete" heißen soll. Es versteht sich, daß für
einige Vokallaute besondere Zeichen eingeführt oder Verständigungen
getroffen werden müssen; aber damit ist auch die Hauptsache erle-
digt. Professor Müllen hoff hat sich um den Quickborn (in der
3ten Auflage) ein unbestreitbares, großes Verdienst erworben, indem
er eine auf vernünftigen Grundsätzen beruhende, konsequent durchge-
führte Schreibweise hingestellt hat, die cs auch jedem andern Platt-
deutschen, der den zu Grunde gelegten Ditmarscher Dialekt nicht
spricht, leicht und natürlich macht, seine Aussprache zu substituircn.
Von allen oben erwähnten Dichtern schreibt Brinckman am
meisten für's Ohr, wird dadurch dein Auge unverständlich und macht
seine Sachen schwer zn lesen. Man muß sich erst besinnen, was
z. B. „Bahre" heißen soll und liest das doch nicht besser, als
„Barer"; ja man kann dreist „Vadcr" schreiben und jeder Platt-
deutsche wird doch das d in der Mitte r sprechen, gerade wie der
Schwabe „isch" liefet, wenn man auch immerhin „ist" schreibt. Nach
Groth befolgt die beste Schreibweise H. F. W. Raabe in seinem:
„Allgemeinen plattdeutschen Volksbuch". Sannuluug von Dichtun-
gen, Sagen, Märchen, Schwänken, Volks- und Kinderreimen, Sprüch-
wörteru, Räthseln u. s. w. Wismar und Ludwigslust, bei Hiustorff.
1854. Da ist kein Zagen nach einer phonetischen Schrift; viel-
mehr geht der Herausgeber einen allgemein verständlichen Mittel-
weg und seine Sammlung liest sich sehr leicht. Sie ist ohnedies
sehr reich, und gut zusammengetragen; sie bringt nicht bloß, weil sie
Vieles bringt, Manchem Etwas, sondern durch gute Wahl Manchem
Vieles. Nur in Einem ist sie zu reich. Wir glauben, für ein
Volksbuch hätte der geschätzte Herausgeber wohlgethan, den „Aller-
hand ollen Awerglowen" wegzulassen. Daß das Volk in Mecklen-
burg, gerade so gut wie anderswo, nicht im geringsten über, son-
dern tief im Aberglauben steckt, hat ja Spitta erst kürzlich in
schaudererregenden Beispielen an die Qefsentlichkeit gebracht. Es
kann doch geschehen, daß hier und da, was der Herausgeber am
wenigsten gewollt hat, dem Aberglauben durch das „Allerhand" re.
Vorschub geleistet wird, trotzdem daß „ollen" darüber steht. He iS
leider Gott's nich so old. Auf den weiteren Inhalt des Buchs
gehen wir das nächste Mal näher ein.
Lenz uni)
So eben erschien bei F. A. Brockhenls in Leipzig und
ist durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Lenz und Söhne, oder: Die Komödie der Besserungen.
Lustspiel in fünf Auszügen.
8. Geh. 25 Ngr.
Dieses viel besprochene neueste Lustspiel Gutzkow's erscheint hier in einer vom
Dichter mannigfach umgearbeiteten Form und in seinem vollständigen Umfang.
Es bildet zugleich die zweite Abtheilung des achten Bandes der Drama-
tischen Werke von Karl Gutzkow. Tie bisher erschienenen Bände (jeder
1 Thlr. 20 Ngr.) enthalten:
I. Richard Savage. Werner. — II. Patkul. Die Schule der Reichen. —
III. Ein weißes Blatt. Zopf und Schwert. — IV. Pugatscheff. Das Urbild
des Tartnffe. — V. Der dreizehnte November. Uriel Acosta. — VI. Wullen-
weber. — VII. Liesli. Der K'önigslientenant. — VIII. Ottfried. Fremdes
Glück. Lenz und Söhne.
Verlag von Heinrich Schindler in Berlin. — Druck von Tronnhsch und Sohn in Berlin.