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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 2.1855

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M 18. Donnerstag, den 6. September. 1833.

Inhalt: Aesthetische Wanderungen in Sicilieu. Von vr. Ludwig Goldhann. — Der getreue Eckart. Epos in 12 Gesängen von Joseph Pape. —
Marguerite. Roman von Ehr. Birch. — Monatschrift für Theater und Musik. Redigirt von dem Verfasser der „Recensionen".

Aesthetische Wanderungen in Sirilien.

Von 35r. Ludwig Goldhann. Leipzig, F. A. Brockhaus.

Während es von Jahr zu Jahr schwieriger für die Reise-
beschreiber wird, ans dem vieldurchwanderten Hesperien Neues und
Interessantes zu Tage zu fördern, hat Sieilten vergleichungsweise
eine gewisse Jungfräulichkeit bewahrt. Sei es, weil der große
Strom der reisenden Welt nicht in seiner ganzen Macht an diese
Ufer schlägt, sei es, weil sich in das südliche Wesen hier merkbarer,
als anderswo fremdartige Elemente gemischt haben, — genug, eine
Wanderuug durch Sicilien bietet selbst in unserer reisegierigen und
reisemüden Zeit noch Reize der Neuheit, und wenn man uns nun
vollends mit dem Versprechen, vorzugsweise im Hinblick auf das
Schöne geführt zu werden, zur Mitreise einladet, so werfen wir
uns gern und leicht in die Illusion, mit einem gelehrten und schön-
geistigen deutschen Landsmann das schöne wilde Eiland zu durch-
pilgern. Ist man dann hier und da, wie das auf Reisen nicht fehlt,
mit dem Herrn Doktor nicht ganz einverstanden, so nimmt man es
in der Fremde nicht so genau damit, und scheidet an: Ende doch
mit freundlichem Händedruck und ganz angenehmen Erinnerungen
von einander.

Wir sind nach kurzer Meerfahrt zu Palermo gelandet. Hier
ist überall noch ziemlich bekanntes Terrain. Die Kirche La Mar-
torana mit ihrer seltsamen Mischung normannischer und sarazenischer
Elemente, der Dom der heiligen Rosalia, der Palast König Rogers,
in weiterem Umkreise das Schloß der Zisa (die Alhambra Sieiliens),
der Dom und Klosterhof Monreale's, die Rosalienkapelle auf dem
Monte Pellegrino sind fast eben so oft in Farben, als in Worten
dargestellt worden, und es ist nicht unseres Begleiters Schuld, wenn
wir ihnen nicht gerade eine neue oder überraschende Ansicht abge-
winnen, so hübsch er Manches davon, z. B. den Eindruck vom In-
nern der Zisa, darzustellen weiß. Eine lebhafte und wohlgelungene
Schilderung, die für uns auch der Neuheit nicht entbehrte, führt
uns unterwegs in die Katakomben des Kapuzinerklosters, unter Tau-
sende von gedörrten und aufgeputzten Leichen, aber gleich dem Ver-
fasser sind wir froh, diese Station hinter uns zu haben. Ueberhaupt
folgt er (oder wir) zwar nicht ohne Murren, doch mit preiswürdi-
ger Ausdauer dem Cicerone, wie ächte lebendige Reisende, und weder
das Superlativ - Rococo der Villa Pallagonia, noch die klassischen
Metopen von Selinunt gehen unseres Besuchs verlustig.

In ein neues Stadium tritt die Reise schon bei einem ferneren
Ausfluge nach Segeste, besonders aber, als im zweiten Abschnitt
des Buchs nicht mehr Palermo, sondern der Aetna der Central-
punkt der „Wanderungen" wird. Ohne sich auf eigentlich wissen-
schaftliche und künstlerische Untersuchungen einzulassen, entwickelt unser
Reisegefährte hier eine Fülle gelehrter Bildung und ästhetischer Re-
flexion, und ohne daß es seine landschaftlichen und topographischen

Literatur-Blatt.

Schilderungen überall zu künstlerischem Abschluß und frappanter
Wahrheit brächten, entrollt er doch auf dem Wege durch Catanea,
Syrakus, Taormina und Messina (wo Reise und Buch mit der
Rückfahrt nach Neapel abschließen) eine Reihe wechselnder Bilder,
der man mit vielem Interesse folgt. Als besonders gelungen möch-
ten wir den Weg durch die berühmten Steinbrüche (Latomien) von
Syrakus (S. 266 ff.) und die Schilderung der ehemaligen Pracht
und Größe dieser Stadt, gegenüber dem jetzigen Verfall (S. 291 ff.),
hervorheben. Jedenfalls ist nach unserer Meinung der zweite Theil
des Buchs dem ersten bei weitem überlegen.

Unsere Kritik über das Ganze hätten wir gewissermaßen in
Einem Wort ausgesprochen, wenn wir vorschlügen, statt „Aesthetische
Wanderungen" lieber „Wanderungen eines Aesthetikers" zu sagen.
Während nämlich der Faden des Buchs, die eigentliche Reisebeschrei-
bung, mit all ihren gewohnten Details von südlichen Transport-
schwierigkeiten und Polizeischerereien, von Speisezetteln und Wein-
karten, Diligencebekanntschasten und Kajütenfatalitäten, ja selbst mit
ihren unentbehrlichen Lnftstimmungs- und Beleuchtungsschildcrungen
sich wenig von Tausenden ihres Gleichen unterscheidet, erhält sie
einen eigenthümlichen Charakter nur durch die Persönlichkeit des Ver-
fassers, durch die Reflexionen, die er überall an die gesehenen Ge-
genstände, oft und zu oft an irgend eine Zufälligkeit anknüpft. Wir
wollen sagen: er reist wie ein anderer Mensch, reflektirt aber unter-
wegs wie ein Aesthetiker. Da er es selbst in der Vorrede beschei-
den ablehnt, sich als Künstler, sein Buch als Kunstwerk beurtheilt
zu sehen, so verzeiht er uns wohl, wenn wir ihm wenigstens in dem
ersten Punkt Leistimmen.

ES muß ein ganz eigener, noch wenig erforschter Unterschied
zwischen der Anschauung eines Künstlers und der eines Aesthetikers
sein, eines Schönheitsgelehrten, wie man das fremde Wort
vielleicht übersetzen könnte. Liegt es vielleicht darin, daß der Erste
das Schöne 'unmittelbar mit dem dafür bestimmten inner« Organ
(nennt es Gefühl oder Phantasie, oder wie Ihr wollt) ergreift, der
Zweite es diesem Organ erst durch den Verstand übermittelt? Gleich-
sam, als hörte Jener die Musik und Dieser läse die Partitur?
Uns wenigstens hat es oft beim Lesen uud Redenhören so Vorkom-
men wollen. *) Uud so meinen wir auch in diesem Buche fast durch-
weg mehr die grübelnde Reflexion zu vernehmen, die gleichsam
um das Schöne buhlt, seinen Begriff vergeblich mit Worten zu
umstricken sucht und ihm doch eigentlich im Tiefsten fremd bleibt,
als das frische Gefühl, das die Schönheit wie eine Braut um-
schlingt, ohne nur nach dem Warum zu fragen.

Wir haben diese Bemerkung besonders da gemacht, wo es sich
um ein einzelnes concretes Kunstwerk, und des Verfassers Urtheil

*) Wir meinen natürlich nicht, als müsse man eben ausübender Künst-
ler sein, um künstlerisch zu empfinden.

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