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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 2.1855

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J\i 21. Donnerstag, den 18. Oktober. 1833.

Inhalt: Theodor Fontane. — Neue Romane.

Theodor Fontane.

Bald werd' ich neu zu Freud' und Frohsinn taugen;
Schon lern' ich aus des Frühlings heitren Klängen,
Wie süßen Nektar, Lust am Leben saugen;

Es mag allerdings, um das Höchste in der Poesie zu erreichen,
dem Dichter die Fähigkeit, den Stoff lediglich aus sich selber zu
entwickeln, die Gestalten seiner Phantasie, nachdem sie einmal ge-
schaffen, völlig abgetrennt und selbständig von sich handeln und
leben zu sehen, erforderlich sein; gleichwohl ist diese Kunst eine so
freie, daß wir im Mittelpunkte unsrer Literatur und im Herzen
unsers Volkes einen Dichter sehen, welcher jene Fähigkeit nicht besaß,
und in dessen Werken wir, in dramatischen wie in epischen Stücken,
stets und unabweisbar die Persönlichkeit des Autors, die eigenthüm-
liche Art seines Geistes und Gemüthes so empfinden, daß wir
darüber zu einem ungemischten Interesse an dem behandelten Stoffe
nicht gelangen können. Zu diesen letzteren Dichternaturen, die wir
wie Schiller, so wenig ihm das eigentliche Lied geglückt ist, die
wesentlich lyrischen nennen möchten, wenn nicht fast überall die
Reflexion dem unmittelbaren Ausdruck der Empfindung in den Weg
träte, gehört auch Theodor Fontane, der mit einer Sammlung
von Gedichten (Berlin, Carl Reimarus,) zuerst im Jahre 1851 in
die neueste Literatur eintrat. Der lyrische Theil dieser Sammlung
ist vorzugsweise eine Gedankenpoesie, wie ihn denn auch der Ver-
fasser selber unter die Rubrik „Lieder und Sprüche" gestellt hat;
doch steht dieser Gedankengehalt, wenn wir im Ganzen auch mehr
Enthusiasmus als Innigkeit in der Natur des Dichters finden, stets
unter dem Einfluß der Empfindung oder ist vielmehr geradezu aus
ihr hcrvorgegangen. Die meisten dieser Gedichte sind das, wofür
man vor einigen Jahren in der Poesie den Namen „Vigilien"
erfand; der Dichter hat in ihnen niedergelegt, was er in seinem

Verhältniß zu Gott, zu den Menschen und an sich selber an Kampf

und Zweifel durchmachte. Sie sind daher, wir möchten mit einem
juristischen Ausdruck sagen, „höchst persönlich" und von einem fast
biographischen Interesse. Wir sehen in ihnen eine jugendlich ringende
Persönlichkeit im Kampfe mit unzusagenden Lebensverhältnissen, von
denen der Dichter bald um jeden Preis sich losreißen will, an die
er sich dann aber wieder im Gefühl menschlicher Unzulänglichkeit
gefesselt fühlt, bis er endlich das „still getragne Joch" abschüttelt,

sich der Poesie als seinem Lebensberufe zuwendet, und als „neu-

geborner Sänger" im Vollgefühle der errungenen Freiheit ausruft:

Nun kann ich wieder wie die Lüfte schweifen,

Am Strom, im Wald miss Neue bei deu alten
Geliebten Plätzen Rast und Andacht halten,

Und lächelnd nach der Abendr'öthe greisen.

Dem Markte fern, dem Feilschen und dem Keifen,

Fühl' ich der Seele Schwingen sich entfalten,

Mir kehrt die Kraft, mein Denken zu gestalten,

Der Keim wird stark, zur Frucht heranzureifen.

Literatur-Blait.

Schon lächl' ich wieder, statt den Kopf zn hängen,
Und zwischen mich und deine lieben Augen
Seh' ich sich fürder keine Wolke drängen.

Bald aber, wie es bei einer Persönlichkeit natürlich, deren
wesentliches Element die Begeisterung ist, sehen wir ihn durch das
Geschwätz der Gevatterschaft gequält und gedrungen, sich durch
eigenen Zuruf darüber zu erheben; an einer andern Stelle wieder
sucht er sich über „die irdischsten der Erdensorgen" zu trösten und
sagt in den letzten Versen, in denen sich die Poesie mit der Ge-
liebten und der Besitz derselben mit seiner neuen Berufswahl zn
identisiziren scheint:

Doch ob das Glück mir auch ein dürrer Bronnen,

Und ob ich auch entbehren mag und leiden,

Ich habe doch das beste Theil gewonnen.

Und sollt' ich diese Stunde noch entscheiden
Mich zwischen dir und einer Welt von Wonnen,

Es bliebe doch beim Alten mit uns Beiden.

Und das ist das Schöne an diesen Gedichten: die Gemüths-
erhebung und der Glaube behalten schließlich überall die Meister-
hand. Daß sie außerdem auch ihrer Form nach, des so sehr indi-
viduellen Inhalts unerachtet, eines allgemeinsten Interesses werth
sind, dafür möge noch ein Gedicht hier Zeugniß geben, in welchem
der Dichter die sittlichen Lebensformen mit den Bedürfnissen seines
innern Lebens in Einklang zu bringen sucht:

Zur Verlobung.

Es paßt uns nicht die alte Leier
In unfern jungen Liebesraufch,

Wir denken und wir fühlen freier,

Und wollen'S auch beim Ringetausch;
Der Treue Pfand zu dieser Stunde
Empfang' es in Champagner-Wein:
Der güldne Ring ans Bechers Grunde
Soll Sinnbild meines Lebens sein.

Laß übersprndeln mich, und freue
Der Kraft dich, die da schäumt und gährt;
Tief innen, wie dies Bild der Treue,
Lebt meine Liebe unversehrt.

Trink' aus! begeistern und erheben
Laß dich zu heil'ger Leidenschaft,

Und trinke dann aus meinem Leben
Dir gleiche Lust und gleiche Kraft.

Wie uns übrigens der Dichter seine Empfindungen meistens
durch Vermittlung der Reflexion giebt, so führt ihn die Eigenthüm-
lichkeit seiner Natur im weitern Verfolge auch zum Allegorischen und
Lehrhaften; und die Dinge um ihn her, der Schnee, die Wolken,
ein gelähmter Zugvogel, veranlassen ihn zu beschaulichen, zum Theil

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