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riothwendig es war und wie wohlthätig es gewesen wäre, daß er in
die Tiefen seines Gegenstandes mit geistiger Anstrengung sich zn ver-
senken Zeit und Mühe nicht gespart hätte.

Wir kehren von dieser Digression, wenn es eine war, zurück
zu unserem Vergleich.

Wenn es dort bei dem rein idyllischen Charakter möglich war,
daß Dorothea, dieses herrlichste Geschöpf Göthes, an Fülle der
Kraft und des Geistes weit über Herrmann vorschlägt, so war es
hier angemessen, daß Clsbeth hinter den eigentlichen Helden weiblich
zurücktritt. Daß sie größere Theilnahme für die politischen Ereig-
nisse hat, als ihre Schwester, ist vom Dichter richtig gedacht; den-
noch aber entbehrt sie aller entschiedenen Individualität. Dies scheint
zwar gradezu in der Absicht des Dichters zu liegen, aber man fühlt
doch den Mangel um so stärker, je reicher er in der überaus vor-
trefflichen Charakteristik Käthchens vergütet wird. Ueberhaupt gehört
diese Erscheinung (und ihr Auftreten in der Bibliotheksscene insbe-
sondere), durch Naivetät, Schalkhaftigkeit, Witz und Lebendigkeit der
Zunge wie des Gemüths ausgezeichnet, zu dem Liebenswürdigsten,
Ansprechendsten und Reizendsten, was der Dichter geschaffen hat und
ein Dichter schaffen kann.

Verschieden wie der Inhalt ist denn auch die Composition deö
Gedichts; unser Dichter ist gänzlich unbekümmert um die Einheit
der Zeit und des Orts, umbekümmert um die Regeln der Gattung
wie der Art seiner Poesie. Dennoch zeigt seine Dichtung entschieden
hervorleuchtende Schönheiten; vor Allem, daß der Reichthum an
Handlung von einem sinnig fortgesponnenen Faden inneren Lebens
durchzogen ist; sodann, daß dem rein idyllischen Anfang, der Thea-
ter- und der Gartenscene (nachdem uns die Blüthe Nürnbergs eben
so plastisch als anmuthig vorgeführt ist), das bewegte öffentliche Leben
und die Theilnahme des Helden an demselben folgt und die Mitte
ausfüllt, um endlich das Ganze wieder idyllisch mit den Vorgängen
in der Bibliothek und im Garten zu schließen. Aber wie im An-
fang aus dem idyllischen Gefühlskreise heraus die innere Bewegung
und Erhebung des Geistes den Uebergang bildet zum thatkräftigen
Handeln, so auch findet der errungene Sieg des Handelns am Schluß
erst seine geistige Verklärung in einer gedankenmäßigen Rückschau,
ehe er in die Behaglichkeit des Erfolges eingeht. Beides aber, jene
geistige Anregung und diese Besinnung, ist in Gesprächen zwischen
dem Helden und dem Meister Hans Sachs dargelcgt. Das Ver-
hältnis; dieser beiden zu einander ist das Rührendste, was man sich
denken kann; es ist glücklich gewählt, tief, edel und innig gedacht
und vortrefflich ausgesührt. Hans Haidekuckuck ist durch die Ungunst
des Schicksals verwaist, aber durch die Gunst desselben das Mündel
des guten Meisters.

Wo nur der Meister stand und ging,

Der Knab an seiner Seite hing,

Und er auch war dem Knaben hold,

Sich gar nicht von ihm trennen wollt.

Erzählt ihm allerlei Geschichten,

Macht ihn bekannt mit seinem Dichten,

Und oft wenn er am Werkeltag
Gar fleißig seiner Arbeit pflag,

Und kam ihm Plötzlich ein Gedanke
Hell in der Wochenarbeit Schranke,

Hieß er den Hans die Feder nehmen
Und schnell zum Schreiben sich bequemen.

Derweil er dann mit Pfriem und Ahl'

An seinem Leisten brav hantiert',

Der Hans, verklärt vom Wonnestrahl,

Schrieb was der Meister ihm diktirt.

Durch's enge Blumenfensterlein
> Fiel goldner Himmelssonnenschein,

Und wenn der Meister auf Minuten
Mit großem Auge blickt hinauf,

Als folgt er still der Wolken Lauf,

Die Hände wie gefesselt ruhten,

Dann überlief den Hans ein Schauer.

Ihm war'S, als wär die ganze Welt
Nur durch des Meisters Blick erhellt.

Es dehnte sich die Kammermauer,

Am Fenster Nos' und Rosmarin
Und Nelken schienen anfzublühn,

Viel tausend Knospen zeigten sich
Und wiegten sich und neigten sich,

Es wuchs und keimte rings empor,

Und Töne drangen an das Ohr,

Wie überirdisch Orgelklingen.

Das zahme Vöglein hob die Schwingen
Und schwieg und schant befremdet drein.

Die Katze saß im Sonnenschein
Und kniff die grünen Augen zu,

Als wollte sie in süßer Ruh
All die Musik so besser hören.

Bis dann des Meisters Zauberwort
Ertönte wie ein Machtbeschwören
Und beide schafften wacker fort.

Der Meister zog den Pechdraht weit,

Schlug über's Leistenholz das Leder,

Diktirt und sinnt von Zeit zu Zeit,

Der Hans der rührte seine Feder.

Dann war's, als ob der Musenbronnen
Herniederströmte Himmelswonnen;

Sie hielten's beide nnverkennlich
Für Wirkung eines Zauberbanns,

Der große und der kleine Hans
Die waren fürder unzertrennlich.

Und Sonntags wenn an Sommertagen
Sie rüstig schritten vor das Thor,

Der Alt' erzählte schöne Sagen,

Der Junge horcht mit offnem Ohr.

Und wenn er hört von Helden, Rittern,

Von Männerthaten, Kriegsgewittern,

Der Hans fühlt klopfen seine Brust,

Ward von dem Meister kaum gezügelt,

Hätt' gern in heller Kriegeslnst
All seine Freundschaft durchgeprügelt.

Diese eben so poetisch schöne als psychologisch tiefe pragmatische
Grundlage für die spätere Entwickelung des Helden empfängt ihre
zweite Stütze in dem Abschiede desselben vom Meister Hans; dieser
hat von der Größe und dem Glanze der Reformation, auch von
den Gefahren, die ihr nun drohen, gesprochen, und schließt: M

Sollt' es zum Kriege kommen bald,

Da wird'« Dich fassen mit Gewalt,

— Ich seh das schon, wiewohl nicht gern —

Wirst suchen Deines Glückes Stern
Bei eines Fürsten Kriegesfahnen,

Den Weg zur Ehre Dir zu bahnen,

Ans Ehre warst Du stets erpicht.

Doch, Hans, vergiß das Eine nicht:

Ficht niemals wider Deinen Glauben!

Das müßt Dir Deine Ehre rauben.

Du bist auf Luthers Wort erzogen,

Drum, sollt Dir Ehre, Glanz und Ruhm
Auch drüben scheinen mehr gewogen,

Laß doch nicht ab voni Lutherthum,

Laß lieber Alles darum brechen,

Schau, das mußt Du mir versprechen;

Warst ja noch immer brav und gut,

Will jeden Zweifel dran verdammen.

Und dann mein Hans vergiß auch nicht
Den alten Meister treu und schlicht —

Wir beiden hielten gut zusammen!

Es war doch köstlich, wenn wir Zwei
Oblagen edler Poesey,

Der Pegasus lief raschen Trott
Und wuchsen beides, Vers und Schuh,

Mit guter Art dem Ziele zu!
 
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