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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 9.1901-1902

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Endell, August: Originalität und Tradition
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https://doi.org/10.11588/diglit.6454#0306
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Originalität und Tradition.

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beurteilen kann und alles dadurch in Frage
gestellt wird, der künstlerische Ruf und
auch — das materielle Auskommen. Im
übrigen sollte man aber diese Fragen von
vornherein nicht immer gleich mit moralischen
Erörterungen verquicken wollen.

Natürlich wird den Modernen vieles
missraten, sie der Spottsucht älterer Kollegen
blossstellen. Das liegt in den enormen
Schwierigkeiten begründet, auf einem neuen
Wege sein Heil zu versuchen. Es fehlt uns
eben all und jede Hülfe und vor allem jede
Tradition. Denn in Wirklichkeit liegt die
Sache so: Nicht die Modernen haben die
Tradition zerstört, sondern
die Tradition war zerstört
schon seit langer Zeit durch
die bewussten Kopisten
des 19. Jahrhunderts, durch
die Hellenen- und Renais-
sance-Epigonen, die Go-
tiker und die anderen histo-
rischen Schulen. Denn Re-
zepte, wie man aus Zeich-
nungs - Vorlagen, Photo-
graphien und Abgüssen
neue Bauten in endloser
Variation zusammenstellt,
haben mit künstlerischer
Tradition wahrhaftig nichts
gemein, es gibt nur eine
Tradition für den Künstler
und das ist die Tradition
des künstlerischen Schaf-
fens. Man muss durch
persönliches Zusammensein
gesehen haben, wie ein
Künstler Probleme und
Hindernisse überwindet.
Nur durch solche direkte
Überlieferung kann künst-
lerischer Sinn und künst-
lerisches Können von
Generation zu Generation
übertragen werden und
sich im Laufe der Zeit zu
immer grösserem Reich-
tum, grösserer Schärfe und
Sicherheit entfalten. Über-
lieferung der handwerk-

lichen Regeln und Gesetze, eine voll
kommene und genaue detaillierte Hand-
werks-Tradition, denn Kunst ist Handwerk,
zwar ein sehr kompliziertes, aber doch eines,
das sich durch Unterricht vollständig lehren
und erlernen lässt. Es ist nötig, das heute
ganz besonders zu betonen, wo immer wieder
Kunst als eine mystische Leistung, als ein
Wunder in den Himmel gehoben und —
verachtet wird, eine Anschauung, die unserem
ganzen Kunst-Leben den allerärgsten Schaden
zugefügt hat. Kunst ist ausschliesslich Arbeit
und setzt einzig und allein eine vollständige
detaillierte Kenntnis der künstlerischen

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AUGUST ENDELL—BERLIN.

Thür im -»Bunten Theater*
 
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